Paul Graham: Geschmack für Erschaffer
Geschrieben Februar 2002, übersetzt von Thorsten Siebenborn.
Original: Taste for Makers
“…Copernicus' aesthetic objections to [equants] provided one essential motive for his rejection of the Ptolemaic system…”
„…Kopernikus ästhetische Einwände zu [Equanten][1] gab ihm ein notwendiges Motiv für seine Abkehr vom ptolemäischem System…“
-Thomas Kuhn, The Copernican Revolution
“All of us had been trained by Kelly Johnson and believed fanatically in his insistence that an airplane that looked beautiful would fly the same way.”
„Jeder von uns war von Kelly Johnson ausgebildet worden und glaubten fanatisch an sein Beharren, dass ein Flugzeug, das gut aussah, genauso fliegen würde.“
- Ben Rich, Skunk Works
“Beauty is the first test: there is no permanent place in this world for ugly mathematics.”
„Schönheit ist der erste Test: es gibt keinen beständigen Platz in dieser Welt für häßliche Mathematik.“
- G. H. Hardy, A Mathematician's Apology
Geschmack. Man hört dieses Wort nicht mehr häufig heutzutage. Und doch brauchen wir immer noch das zugrundeliegende Konzept, wie man es auch immer nennt. Was mein Freund sagen wollte, war, dass er Studenten will, die nicht nur bloß gute Techniker sind, sondern ihre technischen Kenntnisse benutzen können, um Dinge mit Geschmack zu entwerfen.
Mathematiker nennen gute Arbeit „schön“, genauso wie Wissenschaftler, Ingenieure, Musiker, Architekten, Designer, Schriftsteller und Maler sowohl heute als auch in der Vergangenheit. Ist das bloß ein Zufall, dass sie dasselbe Wort verwenden, oder gibt es da eine Überschneidung in dem, was sie meinen ? Wenn es eine Überschneidung gibt, können wir die Entdeckungen bezüglich Schönheit in einem Gebiet dazu verwenden, um uns in anderen Gebieten zurechtzufinden ?
Für diejenigen von uns, die Dinge entwerfen, sind das nicht nur theoretische Fragen. Wenn es so ein Ding wie Schönheit gibt, müssen wir imstande sein, sie zu erkennen. Wir brauchen einen guten Geschmack, um vortreffliche Dinge zu erschaffen. Anstatt Schönheit wie eine luftige Abstraktion zu behandeln und damit je nach Einstellung zu luftigen Abstraktionen entweder darüber zu schwafeln oder das Thema ganz zu vermeiden, versuchen wir es mal als eine praktische Frage zu behandeln: Wie machen wir gute Arbeit ?
Wenn man heutzutage Geschmack erwähnt, werden viele Leute sagen: „Geschmack ist subjektiv“. Sie glauben das, weil es sich wirklich für sie so anfühlt. Wenn sie etwas mögen, wissen sie nicht warum. Es kann daran liegen, weil es schön ist, weil Ihre Mutter denselben Gegenstand hatte oder weil sie einen Filmstar damit in einem Magazin gesehen haben. Ihre Gedanken sind ein Gewirr von ununtersuchten Eingebungen.
Viele von werden als Kinder dazu ermuntert, dieses Gedankengewirr ununtersucht zu lassen. Wenn sie ihren kleinen Bruder dafür verspotten, die Leute in seinem Buch grün anzumalen, dann wird unsere Mutter wahrscheinlich etwas wie „Du machst es, wie Du es magst und er macht es, wie er es mag“ dazu sagen.
Unsere Mutter versucht nicht, uns an diesem Punkt wichtige Wahrheiten über Ästhetik zu vermitteln. Sie möchte uns daran hindern, weiter aufeinander herumzuhacken.
Wie so viele Halbwahrheiten, die uns Erwachsene erzählen, widerspricht dies anderen uns gegenüber geäußerten Behauptungen. Nachdem man uns eingetrichtert hat, das Geschmack bloß eine Frage persönlicher Vorlieben ist, fährt man mit uns ins Museum und ermahnt uns zur Aufmerksamkeit, weil Leonardo ein großartiger Künstler ist. Was geht in diesem Augenblick im Kopf des Kindes vor ? Was denkt es über die Bedeutung des Begriffes „großartiger Künstler“ ? Nachdem jahrelang gesagt wurde, dass jeder seine Sachen so macht, wie er es für richtig hält, wird es wohl kaum geradewegs zu der Einsicht gelangen, dass ein großartiger Künstler jemand ist, dessen Arbeit besser ist als die von anderen. Eine wesentlich wahrscheinlichere Theorie ist, in seinem ptolemäischem Modell des Universums, dass ein großartiger Künstler jemand ist, der wie Brokkoli gut für einen ist, weil es jemand in einem Buch behauptet hat.
Es ist ein guter Weg, Streitigkeiten zu vermeiden, indem man sagt, dass Geschmack bloß persönliche Vorliebe ist. Das Problem ist: es stimmt nicht. Man merkt es, wenn man versucht, eigene Dinge zu entwerfen. Was für eine Arbeit Leute auch haben, sie wollen natürlicherweise darin besser werden. Footballspieler möchten Spiele gewinnen. Geschäftsführer möchten mehr Geld verdienen. Es ist eine Frage des Stolzes und eine wirkliche Genugtuung, in dem, was man macht, besser zu werden. Aber wenn die Arbeit darin besteht, Dinge zu entwerfen, und es kein Ding wie Schönheit gibt, dann gibt es keine Möglichkeit, besser zu werden. Wenn Geschmack wirklich bloß persönliche Vorliebe ist, dann ist jeder bereits perfekt: man mag, was man mag und damit hat es sich. Wenn man, wie bei jeder Arbeit, darin fortfährt, Dinge zu entwerfen, dann wird man besser werden. Unsere Geschmäcker werden sich ändern. Und, wie jeder, der in seiner Arbeit besser wird, wird man wissen, dass man besser wird. Wenn das passiert, werden unsere früheren Geschmäcker nicht nur einfach anders sein, sondern als schlechter empfunden. Und puff, das Axiom, das Geschmack nicht falsch sein kann, verschwindet.
Relativismus ist derzeit in Mode und das kann uns daran hindern, über Geschmack nachzudenken, selbst wenn unser Geschmack besser wird. Aber wenn man sich einmal dazu bekannt hat und zumindest für sich selbst zugibt, dass es so etwas wie gutes und schlechtes Design gibt, dann kann man anfangen, gutes Design im Detail zu studieren. Wie hat sich unser Geschmack verändert ? Wenn man Fehler gemacht hat, was hat uns dazu veranlaßt, diese zu machen ? Was haben andere Menschen über Design gelernt ?
Wenn man einmal angefangen hat, die Frage zu untersuchen, dann wird man überrascht feststellen, wieviele verschiedene Gebiete gemeinsame Ideen über Schönheit teilen. Dieselben Prinzipien kommen immer und immer wieder zum Vorschein.
Gutes Design ist einfach
Gutes Design ist zeitlos
Auf Zeitlosigkeit hinauswollen ist ein Weg, für sich selbst die beste Antwort zu finden: Wenn Du Dir vorstellen kannst, dass Dich jemand übertrumpfen kann, solltest Du selber dieser Jemand sein. Ein paar der größten Meister haben dies so hervorragend getan, dass wenig Platz für Ihre Nachfolger übrigblieb. Jeder Gravierer seit Dürer muss in seinem Schatten leben.
Auf Zeitlosigkeit hinauswollen ist auch ein Weg, dem Griff der Mode zu entrinnen. Mode ändert sich praktisch definitionsgemäß mit der Zeit. Wenn Du also etwas machen kannst, dass selbst in der Zukunft gut aussehen wird, dann muss diese Anziehung mehr auf Verdienst und weniger auf Mode beruhen. Seltsam genug: Wenn Du etwas machen willst, was die zukünftige Generation anziehend finden soll, dann ist es ein Weg dahin, es den vergangenen Generationen schmackhaft machen zu wollen. Es ist hart abzuschätzen, wie die Zukunft aussehen wird, aber wir können sicher sein, dass sie mit der Vergangenheit die Einstellung teilen wird, dass sie sich um die derzeitige Mode überhaupt nicht kümmern wird. Wenn Du also etwas machen kannst, was Leuten von heute gefällt und Leuten von 1500 gefallen würde, dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie auch Leuten im Jahre 2500 gefallen wird.
Gutes Design löst das richtige Problem.
Eine Menge von schlechtem Design basiert auf fehlgeleiteten Anstrengungen. In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gab es den Trend, Text in seriflosen[2] Schriften zu setzen. Diese Schriftarten sind der unverfälschten Reinform der Schrift ähnlicher. Aber in der Schrift ist dies nicht das Problem, das man lösen will. Für die Lesbarkeit ist es wichtiger, dass Buchstaben besser unterschieden werden können. Es sieht vielleicht viktorianisch aus, aber das kleine g in Times Roman ist leicht von dem kleinen y unterscheidbar. Probleme können wie Lösungen verfeinert werden. In Software kann ein unlösbares Problem meistens durch ein leicht lösbares ersetzt werden. Als aus dem Problem, ein Verhalten mit dem vorhandenen Beobachtungen verträglich zu gestalten, das Problem die Voraussage beobachtbaren Verhaltens wurde, machte die Physik schnellere Fortschritte.
Gutes Design ist naheliegend
Gutes Design enthält oft eine Prise Humor
Ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass Humor eine Beziehung zur Stärke hat. Einen Sinn für Humor zu haben heißt stark zu sein: den Sinn für Humor nicht zu verlieren heißt Schicksalsschläge hinnehmen und diesen Sinn zu verlieren heißt durch diese Schicksalsschläge verletzt zu werden. Und so ist es das Zeichen – oder zumindest das Vorrecht – der Stärke, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Der Selbstbewußte wird oft, wie durch ein häufiges Schlucken, eine Vorführung leicht ins Lächerliche ziehen, wie Hitchcock es in seinen Filmen oder Brueghel es in seinen Malereien getan hat – oder Shakespeare, was das betrifft.
Gutes Design muss nicht verschmitzt sein, aber es ist hart, sich etwas, was humorlos genannt werden kann als gutes Design vorzustellen.
Gutes Design ist schwer
Wenn man einen Berg ersteigen will, wirft man alles Überflüssige aus dem Rucksack. Und so wird ein Architekt, der auf schwierigem Gelände oder mit geringem Budget bauen muss, herausfinden, das er gezwungen ist, ein elegantes Design zu erstellen. Mode und Ausschmückungen werden unter der schwierigen Aufgabe, das Problem überhaupt zu lösen, völlig zur Seite gedrängt.
Nicht jede Art von Schwierigkeit ist gut. Es gibt guten und schlechten Schmerz. Man möchte die Art Schmerz, der vom Laufen auf Höchsttouren kommt, und nicht die Art, die man beim Treten auf einen Nagel verspürt. Ein schwieriges Problem kann gut für einen Designer sein, aber ein wankelmütiger Kunde oder unzuverlässige Materialien sind es nicht.
In der Kunst wird traditionell das Malen eines Porträts als höchste Kunst angesehen. Diese Tradition hat was an sich, und nicht nur, weil Bilder von Gesichtern kleine Schalter in unserem Hirn in Gang setzen, wo bei anderen Bildern nichts passiert. Wir sind so gut darin, Gesichter zu studieren, dass jeder, der diese malen will, hart arbeiten muss, um uns zufriedenzustellen. Wenn man einen Baum malt und der Winkel eines Astes fünf Grad mehr beträgt, dann nimmt niemand davon Kenntnis. Wenn man den Winkel eines Auges um fünf Grad ändert, fällt das Leuten auf.
Als der Bauhausstil sich Sullivan's „Die Form folgt der Funktion“ zu Eigen machte, meinten die Leute damit, das sich die Form eines Gegenstandes an seiner Funktion orientieren sollte. Und wenn die Funktion bereits eine schwierige Aufgabe ist, erzwingt dies die Form, da die notwendige Anstrengung keinen Raum für Fehler läßt. Wilde Tiere sind schön weil sie ein hartes Leben führen.
Gutes Design schaut einfach aus
In der Wissenschaft und im Ingenieurswesen machen einige der größten Entdeckungen einen so einfachen Eindruck, dass man zu sich selbst sagt: „Ich hätte selbst darauf kommen können.“ Der Entdecker ist berechtigt zu antworten: „Warum sind sie nicht darauf gekommen ?“
Einige von Leonardo gezeichnete Köpfe sind bloß ein paar Linien. Man schaut sie sich an and man fragt sich, alles, was man tun muss, ist diese acht oder zehn Linien an den richtigen Platz zu setzen und man bekommt dieses schöne Porträt. Nun ja, aber man muss sie genau am richtigen Platz setzen. Der kleinste Fehler und der ganze Eindruck bricht zusammen.
Linienzeichnungen sind in der Tat das schwierigste visuelle Medium, weil sie fast vollständige Perfektion verlangen. In der Mathematik entsprechen sie einer geschlossenen Lösung; geringere Geister lösen die gleichen Probleme durch schrittweise Annäherung. Einer der Gründe, warum Kinder das Malen mit zehn oder so aufgaben, ist, dass sie anfangen, wie Erwachsene zu zeichnen, und eines der ersten Dinge, die sie versuchen, ist eine Linienzeichnung eines Gesichtes. Aua !
In den meisten Gebieten taucht der Eindruck der Einfachheit mit zunehmender Praxis auf. Vielleicht trainiert Praxis das Unterbewußtsein darin, Aufgaben zu erledigen, für die man normalerweise bewußtes Handlen erfordert. In einigen Fällen trainiert man seinen Körper im wahrsten Sinn des Wortes. Ein Spitzenpianist ist fähig, Noten schneller zu spielen als das Gehirn Signale zur Hand senden kann. Genauso kann ein Künstler nach einer Zeit seine visuelle Wahrnehmung vom Auge zur Hand so automatisch fließen lassen wie jemand, der seinen Fuß zum Takt bewegt.
Wenn Leute darüber sprechen, in „der Zone“ zu sein, denke ich, dass sie damit meinen, dass das Rückenmark die Situation unter Kontrolle hat. Das Rückenmark ist weniger zögerlich und es befreit bewusstes Denken für die schwierigen Aufgaben.
Gutes Design nutzt Symmetrie
Es gibt zwei Formen der Symmetrie, Wiederholung und Rekursion[4]. Rekursion bedeutet Wiederholung in Unterelementen, wie das Muster der Blattrippen von Laubbäumen.
Symmetrie ist nun als Reaktion auf übermäßige Anwendung in manchen Gebieten aus der Mode gekommen. In viktorianischen Zeiten fingen Architekten bewußt damit an, Gebäude asymmetrisch anzulegen und 1920 war Asymmetrie eine ausdrückliche Voraussetzung in der modernen Architektur. Aber selbst diese Gebäude, die in den Hauptachsen asymmetrisch angelegt waren, hatten Hunderte von kleineren Symmetrien. In der Schriftstellerei findet man Symmetrie auf jeder Ebene, von den Satzgliedern in Sätzen bis zur Handlung im Roman. Das Gleiche in Musik und Kunst. Mosaike (und ein paar Bilder von Cézanne) bekommen einen zusätzlichen Schub dadurch, dass das Bild aus den selben Bestandteilen aufgebaut ist. Kompositionelle Symmetrie ergibt einige der am einprägsamten Gemälde, besonders wenn die beiden Hälften miteinander interagieren, wie es in die „Erschaffung des Adam“ oder „American Gothic“ geschieht. In der Mathematik und im Ingenieurswesen ist besonders Rekursion ein großer Vorteil. Induktive Beweise sind wundervoll kurz. Bei Software ist die rekursive Lösung für ein Problem, das so gelöst werden kann, fast immer die beste Lösung. Der Eiffelturm sieht teilweise so eindrucksvoll aus weil er einen rekursiven Aufbau hat, ein Turm auf einen Turm. Die Gefahr der Symmetrie und besonders für die Wiederholung besteht darin, sie als Ersatz für das Nachdenken zu verwenden.
Gutes Design ähnelt der Natur
Das Imitieren der Natur funktioniert auch bei den Ingenieuren. Boote hatten lange Zeit ähnlich wie der Rippenkasten eines Tieres einen Kiel und Spanten. In einigen Fällen muss man auf bessere Technologie warten: frühe Flugzeugentwerfer machten den Fehler, Flugzeuge wie Vögel zu entwerfen, weil sie keine Materialien oder Antriebe hatten, die leicht genug waren (der Motor der Wrights' wog 69 kg und leistete nur 12 Pferdestärken (9 kW)) oder weil die Kontrollsysteme nicht fortgeschritten genug waren für Maschinen, die wie Vögel fliegen, aber ich kann mir vorstellen, dass unbemannte Aufklärungsflugzeuge in fünfzig Jahren wie Vögel fliegen werden.
Da wir jetzt genügend Rechenleistung haben können wir sowohl die Methode als auch die Resultate der Natur imitieren. Genetische Algorithmen mögen uns Dinge konstruieren lassen die für normale Entwurfsmethoden zu komplex sind.
Gutes Design ist Redesign
Es gehört Selbstvertrauen dazu, Arbeit wegzuwerfen. Man muss in der Lage sein, sich vorzustellen, dass dort, wo das Ergebnis herkommt, mehr sein kann. Beispiel: Wenn Leute anfangen zu malen, sind sie abgeneigt, Teile noch mal zu malen, die nicht richtig sind; sie glauben, dass sie bis dahin Glück gehabt haben, soweit gekommen zu sein, und wenn sie versuchen, etwas zu wiederholen, dann wird es schlimmer werden. Stattdessen überzeugen sie sich selbst, dass die Zeichnung nicht so schlecht ist, wirklich – eigentlich haben sie es genauso gewollt.
Das ist eine Gefahrenzone; wenn man irgendetwas kultivieren sollte, dann das Unbefriedigtsein. In Leonardos Zeichnungen gibt es oft fünf oder sechs Versuche, die Linie richtig hinzubekommen. Das auffällige Heck des Porsche 911 erschien nur in dem Neuentwurf eines unbeholfenen Prototyps. In Wright's frühen Plänen für das Guggenheim-Museum in New York war die rechte Hälfte ein Ziggurat, er kehrte es um, um die derzeitige Form zu bekommen.
Fehler sind normal. Anstatt diese als Katastrophe zu behandeln, machen sie sie so, dass sie einfach zu erkennen und einfach zu behandeln sind. Leonardo erfand mehr oder weniger die Skizze als ein Weg, mehr Gewicht auf das Erkunden einer Zeichnung zu legen. Open Source Software hat weniger Fehler weil sie die Möglichkeit von Fehlern zugibt.
Es hilft, ein Mittel zu verwenden, dass Änderungen einfach macht. Als Ölfarbe Temperafarbe verdrängte, half es den Malern, mit so schwierigen Gegenständen wie dem menschlichen Körper umzugehen. Das lag daran, dass Öl im Gegensatz zu Tempera schattiert und übermalt werden kann.
Gutes Design kann kopiert werden
Unbewusstes Nachahmen ist fast immer ein Rezept für schlechtes Design. Wenn man nicht weiß, woher die Ideen kommen, ahmt man wahrscheinlich selbst einen Imitator nach. Raffael durchdrang den Geschmack Mitte des 19. Jahrhunderts so sehr, dass fast jeder, der versuchte zu malen, ihn imitierte und sich oftmals weit von ihm entfernte. Diese Art von Werken erboste die Präraffaeliten wesentlich mehr als Raffael's eigene Arbeiten.
Die Ambiotinierten wollen nicht nachahmen. Die zweite Phase in dem Verfeinern des Geschmacks ist der bewusste Versuch der Originalität.
Ich denke, die größten Meister gehen weiter um eine Art Selbstlosigkeit zu erreichen. Sie wollen nur noch die richtige Antwort finden, und wenn ein Teil der richtigen Antwort von jemand anderem bereits gefunden wurde, ist dies kein Grund, diese nicht zu verwenden. Sie sind selbstbewusst genug, um etwas von anderen zu nehmen, ohne das Gefühl zu haben, dass etwas von Ihrer eigenen Vision verlorengegangen ist.
Gutes Design ist oft seltsam
Ich weiß nicht warum. Es mag bloß meine eigene Dummheit sein. Ein Dosenöffner muss unheimlich für einen Hund aussehen. Vielleicht, wenn ich klug genug wäre, würde ich eiπ = -1 als die natürlichste Sache der Welt ansehen. Es ist schließlich notwendigerweise wahr.
Die meisten der Qualitäten, die ich erwähnt habe, kann man kultivieren, aber ich denke nicht, dass es für Seltsamkeit funktioniert. Das beste, was man machen kann, ist diese nicht zu unterdrücken, wenn sie anfängt, aufzutauchen. Einstein versuchte nicht mal, die Relativitätstheorie seltsam aussehen zu lassen. Er wollte eine wahre Beschreibung haben und die Wahrheit stellte sich als seltsam heraus.
An einer Kunstschule, wo ich einst studiert habe, wollten die Studenten sehnlichst einen persönlichen Stil entwickeln. Aber wenn man einfach versucht, gute Dinge herzustellen, wird man es unvermeidbar in einer unverwechselbaren Weise tun, genauso wie jede Person einen eigenen, unverwechselbaren Gang hat. Michelangelo wollte nicht versuchen, wie Michelangelo zu malen. Er wollte bloß gut malen; er konnte nicht anders malen als Michelangelo.
Der einzige Stil den zu haben sich lohnt, ist der Stil, den man einfach nicht anders kann. And das gilt besonders für Seltsamkeit. Da gibt es keine Abkürzung. Die Nordwestpassage[5], die die Manieristen, die Romantiker und zwei Generationen von amerikanischen Highschool-Studenten gesucht haben, scheint nicht zu existieren. Der einzige Weg, dahin zu gelangen, ist den Gang des Guten zu wählen und auf der anderen Seite hinauszukommen.
Gutes Design passiert häppchenweise.
Es gibt gerade zu diesem Zeitpunkt etwa tausendmal mehr Leute in den USA als in Florenz während des 15. Jahrhunderts. Eintausend Leonardos und eintausend Michelangelos befinden sich unter uns. Wenn die DNA uns beherrschen würde, sollten wir täglich neue künstlerische Wunderwerke erleben. Wir erleben dies nicht, und der Grund ist derjenige, dass um ein Leonardo zu werden, mehr als angeborenes Talent benötigt wird. Man benötigt auch ein Florenz des Jahres 1450.
Nichts wiegt schwerer als eine Gemeinschaft von talentierten Leuten, die an verwandten Aufgaben arbeitet. Gene zählen im Vergleich dazu wenig: Ein genetischer Leonardo reichte als Kompensation für den Geburtort Milan statt Florenz nicht aus. Heutzutage sind wir wesentlich mobiler, aber großartige Arbeit konzentriert sich immer noch überwiegend auf ein paar Brennpunkte: Bauhaus, Manhattan Projekt, New Yorker, Lockheed's Skunk Works, Xerox Parc.
Zu jeder Zeit gibt es ein paar brennende Themen and ein paar Gruppen, die großartige Arbeit darin leisten, und es ist praktisch unmöglich, eigene gute Arbeit zu leisten, wenn man zu weit von diesen Zentren entfernt ist. Man kann an diesen Trends ein wenig hin- und herrütteln, aber man kann sich nicht davon losmachen. (Vielleicht können Sie es, aber die Milaner Leonardos konnten es nicht.)
Gutes Design ist oft mutig
Wäre unsere Zeit eine Ausnahme, dann wäre das bemerkenswert. Soweit ich sehen kann, trifft dies jedoch nicht zu.
Dieses Problem betrifft nicht nur jeden Zeitpunkt, sondern in gewissen Maßstab jedes Gebiet. Vieles in der Kunst der Renaissance war zu Ihrer Zeit schockierend weltlich: Nach Angaben von Vasari bereute Botticelli seine Arbeit und gab das Malen auf, und Fra Bartolomeo und Lorenzo di Credi haben tatsächlich einige Ihrer Werke verbrannt. Vielen zeitgenössischen Physikern war Einsteins Theorie der Relativität ein Dorn im Auge und es dauerte Jahrzehnte, bis sie voll akzeptiert war – in Frankreich dauerte es bis 1950.
Die heutigen experimentellen Fehler sind die neuen Theorien der Zukunft. Wenn man neue großartige Dinge entdecken will, dann sollte man dort, wo sich konventionelle Weisheit und Wahrheit nicht besonders gut vertragen, besonders gut hinschauen anstatt sich abzuwenden.
Praktischerweise denke ich, dass es einfacher ist, Häßlichkeit zu erkennen als sich Schönheit vorzustellen. Die meisten der Leute, die wundervolle Dinge geschaffen haben, haben dies
wohl dadurch erreicht, dass sie etwas verbessert haben, was ihnen als häßlich erschien. Großartige Arbeit beginnt gewöhnlicherweise damit, dass jemand etwas sieht und denkt: „Das
kann ich besser hinbekommen“. Giotto sah sich die traditionellen byzantinischen Madonnas an, die nach einer Regel hergestellt wurden, die jeden jahrhundertelang befriedigt hatte,
und für Ihn sahen sie hölzern und unnatürlich aus. Kopernikus war so unbefriedigt durch die Notlösung, die jeden anderen seiner Zeitgenossen befriedigt hatte, dass er fühlte, es
muss eine bessere Lösung geben.
Intoleranz für Häßlichkeit reicht alleine nicht aus. Man muss ein Gebiet gut verstehen, bevor man eine Nase dafür entwickeln kann, was berichtigt werden muss. Man muss seine
Hausaufgaben machen. Aber wenn man Experte in einem Gebiet wird, fängt man an, leise Stimmen zu vernehmen, die einem sagen: „Was für eine unbefriedigende Lösung ! Es muss einen besseren Weg
geben.“ Ignorieren Sie nicht diese Stimmen. Kultivieren Sie sie. Das Rezept für großartige Arbeit ist: sehr treffender Geschmack und die Fähigkeit, sich dazu zu beglückwünschen.
Bemerkungen:
Stephen G. Brush, „Why was Relativity Accepted ?“ Phys. Perspect. 1 (1999) 184-214.
Anmerkungen des Übersetzers
[1] Equanten sind eine Idee des ptolemäischen Weltmodells. Die Planeten bewegen sich nicht in Kreisen um die Sonne, sondern sehr gut angenähert in Ellipsen (also ovalförmig) und ungleichmäßig; in Sonnennähe sind sie schneller als in Sonnenferne. Von der Erde aus beobachtet bewegen sich die Planeten dementsprechend teilweise sehr merkwürdig. Die reine Kreisform, die in Schulbüchern immer wieder als Modell der Antike und des Mittelalters falsch (!) angegeben wird, führt zu unlösbaren Widersprüchen. Die antiken Astronomen waren sich dieser Problematik sehr wohl bewusst, konnten sich aber von der offenbaren Notwendigkeit des Kreises wegen seiner Ästhetik und mangelnder Alternativen nicht lösen. Aristarch hat bereits das heliozentrische Modell (also Erde um Sonne) im dritten Jahrhundert vorgeschlagen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Der Grund war, dass eine sich bewegende Erde eine Verschiebung der Fixsterne im Laufe des Jahres verursachen müsste. Aristoteles folgerte korrekt daraus, dass das Fehlen solcher beobachtbarer Verschiebungen gigantische Entfernungen der Sterne implizieren müsste und konnte sich einfach ein so riesiges und leeres Universum nicht vorstellen. Also mussten sich Sonne und Planeten um die Erde drehen. Ptolemäus löste dies schließlich damit, dass er den Drehpunkt des Modells vom Erdmittelpunkt verschob (Equant) und die Planeten auf ihrer Umlaufbahn (Deferente) noch einmal kleinere Kreise (Epizykel) beschreiben lässt. Dies führte zu einem völlig unanschaulichen System, das jedoch die Beobachtungen einigermaßen beschreiben konnte.
[2] Mit Serifen sind diese kleinen Anhängsel oben und unten im Schriftsatz gemeint.
[3] Verlegenheitsübersetzung: Das Original heißt „Womb Chair“, „Womb“ heißt „Gebärmutter“.
[4] Ein paar Beispiele für Rekursion. Sie kennen diese russischen Matroschka Püppchen ?
Oder stellen Sie sich folgenden (scherzhaften) Wörterbucheintrag vor:
- Rekursion
- Bitte sehen sie unter Rekursion nach, bis sie Rekursion begriffen haben.
[5] Die Nordwestpassage ist der äußerst schwierige Versuch, Amerika vom Atlantik zum Pazifik über die nördliche Route durch das Eismeer zu umfahren und ist und auch heute kaum nutzbar. Paul Graham verwendet es im metaphorischen Sinne.