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Paul Gra­ham: Ge­schmack für Er­schaf­fer

Geschrieben Fe­bru­ar 2002, über­setzt von Thor­sten Sie­ben­born.

Ori­gi­nal: Ta­ste for Ma­kers

Bild einer SR-71
NASA Dry­den Flight Re­search Cen­ter. Pho­to-ID: EC95-43075-2. Freige­ge­ben als Pu­blic Do­main,1995
“…Co­per­ni­cus' aes­the­tic ob­jec­ti­ons to [equants] pro­vi­ded one es­sen­ti­al mo­tive for his re­jec­tion of the Pto­le­maic sy­stem…”
„…Ko­per­ni­kus äs­the­ti­sche Ein­wän­de zu [Equanten][1] gab ihm ein not­wen­di­ges Mo­tiv für sei­ne Ab­kehr vom pto­le­mäi­schem Sy­stem…“
-Tho­mas Kuhn, The Co­per­ni­can Re­vo­lu­ti­on
“All of us had been trai­ned by Kel­ly John­son and be­lieved fa­na­ti­cal­ly in his in­si­stence that an air­plane that loo­ked be­au­ti­ful would fly the same way.”
„Je­der von uns war von Kel­ly John­son aus­ge­bil­det wor­den und glaub­ten fa­na­tisch an sein Beharren, dass ein Flug­zeug, das gut aus­sah, ge­nauso flie­gen wür­de.“
- Ben Rich, Skunk Works
“Beau­ty is the first test: the­re is no per­ma­nent place in this world for ugly mathe­matics.”
„Schön­heit ist der er­ste Test: es gibt kei­nen be­stän­di­gen Platz in die­ser Welt für häß­liche Mathe­matik.“
- G. H. Hardy, A Mathe­matician's Apo­lo­gy

Neulich sprach ich mit ei­nem Freund, der am MIT (Mas­sa­chu­setts In­sti­tu­te of Tech­no­lo­gy, ame­ri­ka­ni­sche Spit­zenuniversität) un­terrichtet. Sein The­men­ge­biet is der­zei­tig sehr im Ge­spräch und je­des Jahr wird er von Stu­den­ten, die das Haupt­stu­di­um be­gin­nen, mit Anfragen über­häuft. „Vie­le von ih­nen ma­chen ei­nen pfif­fi­gen Ein­druck“ sag­te er. „Was ich nicht sa­gen kann, ist, ob sie irgendei­ne Form von Ge­schmack be­sit­zen.“

Ge­schmack. Man hört die­ses Wort nicht mehr häu­fig heut­zu­ta­ge. Und doch brau­chen wir im­mer noch das zu­grun­de­lie­gen­de Kon­zept, wie man es auch im­mer nennt. Was mein Freund sa­gen woll­te, war, dass er Stu­den­ten will, die nicht nur bloß gu­te Tech­ni­ker sind, son­dern ih­re tech­ni­schen Kennt­nisse be­nut­zen kön­nen, um Din­ge mit Ge­schmack zu ent­wer­fen.

Mathe­matiker nen­nen gu­te Ar­beit „schön“, ge­nauso wie Wis­sen­schaft­ler, In­ge­nieu­re, Mu­siker, Ar­chi­tek­ten, De­signer, Schrift­stel­ler und Ma­ler so­wohl heu­te als auch in der Ver­gan­gen­heit. Ist das bloß ein Zu­fall, dass sie das­sel­be Wort ver­wen­den, oder gibt es da ei­ne Über­schnei­dung in dem, was sie mei­nen ? Wenn es ei­ne Über­schnei­dung gibt, kön­nen wir die Ent­deck­un­gen be­züg­lich Schön­heit in ei­nem Ge­biet da­zu ver­wen­den, um uns in an­de­ren Ge­bie­ten zurechtzufin­den ?

Für die­je­ni­gen von uns, die Din­ge ent­wer­fen, sind das nicht nur theo­re­ti­sche Fragen. Wenn es so ein Ding wie Schön­heit gibt, müs­sen wir im­stan­de sein, sie zu erken­nen. Wir brau­chen ei­nen gu­ten Ge­schmack, um vor­treff­li­che Din­ge zu er­schaf­fen. An­statt Schön­heit wie ei­ne luf­ti­ge Ab­strak­ti­on zu be­han­deln und da­mit je nach Ein­stel­lung zu luf­ti­gen Ab­strak­tio­nen ent­we­der dar­über zu schwa­feln oder das The­ma ganz zu ver­mei­den, ver­su­chen wir es mal als ei­ne prak­ti­sche Frage zu be­han­deln: Wie ma­chen wir gu­te Ar­beit ?

Wenn man heut­zu­ta­ge Ge­schmack er­wähnt, wer­den vie­le Leu­te sa­gen: „Ge­schmack ist sub­jek­tiv“. Sie glau­ben das, weil es sich wirk­lich für sie so an­fühlt. Wenn sie et­was mö­gen, wis­sen sie nicht war­um. Es kann dar­an lie­gen, weil es schön ist, weil Ih­re Mut­ter densel­ben Ge­gen­stand hat­te oder weil sie ei­nen Film­star da­mit in ei­nem Ma­ga­zin ge­se­hen ha­ben. Ih­re Ge­dan­ken sind ein Ge­wirr von un­un­ter­such­ten Ein­ge­bun­gen.

Vie­le von wer­den als Kin­der da­zu ermun­tert, die­ses Ge­dan­kenge­wirr un­un­ter­sucht zu las­sen. Wenn sie ih­ren klei­nen Bru­der da­für ver­spot­ten, die Leu­te in sei­nem Buch grün an­zu­ma­len, dann wird un­se­re Mut­ter wahr­schein­lich et­was wie „Du machst es, wie Du es magst und er macht es, wie er es mag“ da­zu sa­gen.

Un­se­re Mut­ter ver­sucht nicht, uns an die­sem Punkt wich­ti­ge Wahr­heiten über Äs­the­tik zu ver­mit­teln. Sie möch­te uns dar­an hin­dern, wei­ter auf­ein­an­der her­um­zu­hacken.

Wie so vie­le Halb­wahr­hei­ten, die uns Erwachsene er­zäh­len, wi­der­spricht dies an­de­ren uns ge­gen­über ge­äu­ßer­ten Be­haup­tun­gen. Nachdem man uns ein­ge­trich­tert hat, das Ge­schmack bloß ei­ne Frage per­sön­li­cher Vor­lie­ben ist, fährt man mit uns ins Mu­se­um und er­mahnt uns zur Auf­merk­sam­keit, weil Leo­nar­do ein groß­ar­ti­ger Künst­ler ist. Was geht in die­sem Au­genblick im Kopf des Kin­des vor ? Was denkt es über die Be­deu­tung des Be­grif­fes „groß­ar­ti­ger Künst­ler“ ? Nachdem jah­re­lang ge­sagt wur­de, dass je­der sei­ne Sa­chen so macht, wie er es für rich­tig hält, wird es wohl kaum ge­ra­de­wegs zu der Ein­sicht ge­lan­gen, dass ein groß­ar­ti­ger Künst­ler je­mand ist, des­sen Ar­beit bes­ser ist als die von an­de­ren. Ei­ne we­sent­lich wahr­schein­li­che­re Theo­rie ist, in sei­nem pto­le­mäi­schem Mo­dell des Uni­ver­sums, dass ein groß­ar­ti­ger Künst­ler je­mand ist, der wie Brok­ko­li gut für ei­nen ist, weil es je­mand in ei­nem Buch be­haup­tet hat.

Es ist ein gu­ter Weg, Strei­tig­kei­ten zu ver­mei­den, in­dem man sagt, dass Ge­schmack bloß per­sön­li­che Vor­lie­be ist. Das Pro­blem ist: es stimmt nicht. Man merkt es, wenn man ver­sucht, ei­ge­ne Din­ge zu ent­wer­fen. Was für ei­ne Ar­beit Leu­te auch ha­ben, sie wol­len na­tür­li­cher­wei­se dar­in bes­ser wer­den. Foot­ball­spie­ler möch­ten Spiele ge­win­nen. Ge­schäfts­füh­rer möch­ten mehr Geld ver­die­nen. Es ist ei­ne Frage des Stolzes und ei­ne wirk­liche Ge­nugtuung, in dem, was man macht, bes­ser zu wer­den. Aber wenn die Ar­beit dar­in be­steht, Din­ge zu ent­wer­fen, und es kein Ding wie Schön­heit gibt, dann gibt es kei­ne Mög­lich­keit, bes­ser zu wer­den. Wenn Ge­schmack wirk­lich bloß per­sön­li­che Vor­lie­be ist, dann ist je­der be­reits per­fekt: man mag, was man mag und da­mit hat es sich. Wenn man, wie bei je­der Ar­beit, dar­in fort­fährt, Din­ge zu ent­wer­fen, dann wird man bes­ser wer­den. Un­se­re Ge­schmäck­er wer­den sich än­dern. Und, wie je­der, der in sei­ner Ar­beit bes­ser wird, wird man wis­sen, dass man bes­ser wird. Wenn das pas­siert, wer­den un­se­re frü­he­ren Ge­schmäck­er nicht nur ein­fach an­ders sein, son­dern als schlech­ter emp­fun­den. Und puff, das Axi­om, das Ge­schmack nicht falsch sein kann, ver­schwin­det.

Re­la­ti­vis­mus ist der­zeit in Mo­de und das kann uns dar­an hin­dern, über Ge­schmack nachzuden­ken, selbst wenn un­ser Ge­schmack bes­ser wird. Aber wenn man sich ein­mal da­zu be­kannt hat und zu­min­dest für sich selbst zu­gibt, dass es so et­was wie gu­tes und schlech­tes De­sign gibt, dann kann man an­fan­gen, gu­tes De­sign im De­tail zu studieren. Wie hat sich un­ser Ge­schmack ver­än­dert ? Wenn man Feh­ler ge­macht hat, was hat uns da­zu ver­an­laßt, die­se zu ma­chen ? Was ha­ben an­de­re Men­schen über De­sign ge­lernt ?

Wenn man ein­mal an­ge­fan­gen hat, die Frage zu un­tersuchen, dann wird man über­rascht feststel­len, wie­vie­le ver­schie­de­ne Ge­biete ge­mein­sa­me Ide­en über Schön­heit tei­len. Die­sel­ben Prin­zipien kom­men im­mer und im­mer wie­der zum Vor­schein.

Gu­tes De­sign ist ein­fach

Man hört das von der Mathe­matik bis zum Ma­len. In der Mathe­matik be­deu­tet das, dass ein kür­ze­rer Be­weis da­zu hin ten­diert, ein bes­se­rer zu sein. Be­son­ders wo es Axio­me be­trifft ist we­niger mehr. In der Pro­gram­mie­rung be­deu­tet es fast das Glei­che. Für Ar­chi­tek­ten und De­signer be­deu­tet es, dass Schön­heit auf we­nigen und sorg­fäl­tig aus­ge­such­ten Ele­men­ten be­ru­hen soll­te als ein Über­fluss von über­flüs­si­gen Ver­zie­rungen. (Ver­zie­rungen an sich sind nicht schlecht, nur wenn es sich um das Übertünchen ge­schmack­lo­ser Form han­delt). Dementspre­chend gilt beim Ma­len ei­nes Stil­le­bens: Ein paar sorg­fäl­ti­ge be­ob­ach­te­te und ge­wis­sen­haft mo­del­lier­te Ob­jek­te ten­die­ren da­zu, we­sent­lich in­ter­es­santer zu wir­ken als das Ma­len von auf­dring­lich wir­kenden, aber sich geist­los wie­derholenden For­men wie zum Bei­spiel ein Kra­gen aus Spit­ze. Beim Schreiben heißt dies: Schreibe das, was Du meinst und fas­se Dich kurz. Es er­scheint selt­sam, Ein­fachheit zu be­to­nen. Man wür­de glau­ben, ein­fach zu den­ken, wä­re üb­lich. Ver­zie­rung ist mehr Ar­beit. Aber et­was scheint die Leu­te zu überkom­men, wenn sie ver­su­chen, krea­tiv zu sein. An­fän­ger im Schreiben ge­wöh­nen sich ei­nen pom­pö­sen Ton an, der kei­ne Ähn­lichkeit zu ih­rer nor­ma­len Sprech­wei­se auf­weist. De­signer, die künst­le­risch sein wol­len, neh­men Zu­flucht zu Schwün­gen und Schnörkeln. Ma­ler ent­deck­en, dass sie Ex­pres­sio­ni­sten sind. Es sind al­les Aus­flüch­te. Un­ter den lan­gen Wort­ge­bil­den oder den „aus­drucks­star­ken“ Pin­sel­stri­chen fin­det nicht viel statt und das ist angst­ein­flö­ßend. Wenn man ge­zwun­gen wird, ein­fach zu sein, wird man ge­zwun­gen, dem we­sent­li­chen Pro­blem ge­gen­überzutreten. Wenn man kei­ne Ver­zie­rung lie­fern kann, muss man Sub­stanz lie­fern.

Gu­tes De­sign ist zeit­los

In der Mathe­matik ist je­der Be­weis zeit­los, bis er ei­nen Feh­ler ent­hält. Was meint al­so Hardy, wenn er sagt, dass es kei­nen be­stän­di­gen Platz für häß­liche Mathe­matik gibt ? Er meint das­sel­be wie Kel­ly John­son: Wenn et­was häß­lich ist, kann es nicht die be­ste Lö­sung sein. Es muss ei­ne bes­se­re ge­ben und letz­ten En­des wird je­mand die­se ent­deck­en.
Auf Zeit­lo­sig­keit hin­aus­wol­len ist ein Weg, für sich selbst die be­ste Ant­wort zu fin­den: Wenn Du Dir vor­stel­len kannst, dass Dich je­mand über­trump­fen kann, soll­test Du sel­ber die­ser Je­mand sein. Ein paar der größ­ten Mei­ster ha­ben dies so her­vor­ra­gend ge­tan, dass we­nig Platz für Ih­re Nach­fol­ger üb­rig­blieb. Je­der Gra­vie­rer seit Dü­rer muss in sei­nem Schat­ten le­ben.
Auf Zeit­lo­sig­keit hin­aus­wol­len ist auch ein Weg, dem Griff der Mo­de zu ent­rin­nen. Mo­de än­dert sich prak­tisch de­fi­ni­ti­ons­ge­mäß mit der Zeit. Wenn Du al­so et­was ma­chen kannst, dass selbst in der Zu­kunft gut aus­se­hen wird, dann muss die­se An­zie­hung mehr auf Verdienst und we­niger auf Mo­de be­ru­hen. Selt­sam ge­nug: Wenn Du et­was ma­chen willst, was die zu­künf­ti­ge Ge­ne­ra­ti­on anzie­hend fin­den soll, dann ist es ein Weg da­hin, es den ver­gan­ge­nen Ge­ne­ra­tio­nen schmack­haft ma­chen zu wol­len. Es ist hart ab­zu­schät­zen, wie die Zu­kunft aus­se­hen wird, aber wir kön­nen si­cher sein, dass sie mit der Ver­gan­gen­heit die Ein­stel­lung tei­len wird, dass sie sich um die der­zei­ti­ge Mo­de über­haupt nicht küm­mern wird. Wenn Du al­so et­was ma­chen kannst, was Leu­ten von heu­te ge­fällt und Leu­ten von 1500 ge­fal­len wür­de, dann be­steht ei­ne ho­he Wahr­schein­lich­keit, dass sie auch Leu­ten im Jah­re 2500 ge­fal­len wird.

Gu­tes De­sign löst das rich­tige Pro­blem.

Der ty­pi­sche Ofen hat vier Herd­plat­ten, die im Qua­drat angeord­net sind und für je­de Platte ei­nen Drehschal­ter zur Kon­trol­le be­sitzt. Wie ord­net man die Schal­ter an ? Die ein­fachste Ant­wort ist die­je­ni­ge, sie in ei­ner Rei­he an­zu­ord­nen. Aber das ist ei­ne ein­fache Ant­wort für die fal­sche Frage. Die Schal­ter sind für Men­schen ge­dacht, und wenn man die­se in ei­ner Rei­he anord­net, dann muss der Unglückliche je­desmal kurz in­ne­hal­ten und nachden­ken, wel­cher Schal­ter wel­che Herd­plat­te be­dient. Es ist bes­ser, die Schal­ter wie die Platten qua­dra­tisch an­zu­ord­nen.
Ei­ne Menge von schlech­tem De­sign ba­siert auf fehl­ge­lei­te­ten An­stren­gun­gen. In der Mit­te des zwan­zig­sten Jahr­hun­derts gab es den Trend, Text in se­rif­lo­sen[2] Schrif­ten zu set­zen. Die­se Schrift­ar­ten sind der un­ver­fälsch­ten Rein­form der Schrift ähn­li­cher. Aber in der Schrift ist dies nicht das Pro­blem, das man lö­sen will. Für die Les­bar­keit ist es wich­ti­ger, dass Buch­sta­ben bes­ser un­terschieden wer­den kön­nen. Es sieht viel­leicht vik­to­ria­nisch aus, aber das klei­ne g in Times Ro­man ist leicht von dem klei­nen y un­terscheidbar. Pro­ble­me kön­nen wie Lö­sun­gen verfei­nert wer­den. In Soft­ware kann ein un­lös­ba­res Pro­blem mei­stens durch ein leicht lös­ba­res er­setzt wer­den. Als aus dem Pro­blem, ein Verhalten mit dem vor­han­de­nen Be­ob­ach­tun­gen ver­träg­lich zu ge­stal­ten, das Pro­blem die Vor­aus­sa­ge be­ob­acht­ba­ren Ver­hal­tens wur­de, mach­te die Phy­sik schnel­le­re Fort­schrit­te.

Gu­tes De­sign ist nahelie­gend

Ja­ne Austen's Ro­mane ent­hal­ten fast kei­ne Be­schrei­bungen; an­statt dem Le­ser zu sa­gen, wie al­les aus­sieht, er­zählt sich Ih­re Ge­schich­te so gut, dass man die Sze­ne­rie vor den Au­gen hat. Ge­nauso ist ein Ge­mäl­de, das bloß an­deu­tet, oft an­re­gen­der als ein rein dar­stel­len­des. Je­der hat sich sei­ne ei­ge­nen Ge­dan­ken über die Mo­na Li­sa ge­macht. In der Ar­chi­tek­tur und dem De­sign be­deu­tet die­ses Prin­zip, dass ei­ne Woh­nung oder ein Ob­jekt so be­nutzt wer­den kann, wie man es selbst möch­te: ei­ne gu­te Woh­nung wird bei­spiels­wei­se für je­den Le­bens­stil ei­nen angemessenen Hin­ter­grund bie­ten an­statt die Bewoh­ner den Wünschen des Ar­chi­tek­ten zu un­terwerfen. In der Soft­ware heißt es, dass man den Be­nut­zern wie Legostei­ne ein paar grundle­gende und be­lie­big kom­bi­nier­ba­re Funk­ti­onen an­bie­tet. In der Mathe­matik be­deu­tet es, dass ein Be­weis, der ei­nen wei­teren Grund­stein für vie­le neue Ar­bei­ten lie­fern wird, dem Be­weis vorzuzie­hen ist, der schwie­rig ist, aber kei­ne wei­teren Ent­deck­un­gen er­laubt. In den Wis­sen­schaften ist die Zahl der Zi­ta­te ei­ne Daumenre­gel für den Verdienst ei­ner Ar­beit.

Gu­tes De­sign ent­hält oft ei­ne Pri­se Hu­mor

Die­ses muss nicht im­mer zu­tref­fen. Aber Dü­rer's Gra­vu­ren und Saarinen's Pol­ster­stuhl[3] und das Pan­the­on und der ori­gi­nale Por­sche 911 se­hen al­le leicht ver­schmitzt aus.Gödel's Un­voll­stän­dig­keits­theo­rem hat et­was von ei­nem prak­ti­schen Scherz an sich.
Ich den­ke, es hat et­was da­mit zu tun, dass Hu­mor ei­ne Be­zie­hung zur Stär­ke hat. Ei­nen Sinn für Hu­mor zu ha­ben heißt stark zu sein: den Sinn für Hu­mor nicht zu ver­lie­ren heißt Schick­sals­schlä­ge hinneh­men und die­sen Sinn zu ver­lie­ren heißt durch die­se Schick­sals­schlä­ge ver­letzt zu wer­den. Und so ist es das Zei­chen – oder zu­min­dest das Vor­recht – der Stär­ke, sich selbst nicht zu ernst zu neh­men. Der Selbstbe­wußte wird oft, wie durch ein häu­figes Schlucken, ei­ne Vor­füh­rung leicht ins Lä­cher­liche zie­hen, wie Hitch­cock es in sei­nen Filmen oder Brueg­hel es in sei­nen Ma­le­reien ge­tan hat – oder Shake­speare, was das be­trifft.
Gu­tes De­sign muss nicht ver­schmitzt sein, aber es ist hart, sich et­was, was hu­mor­los ge­nannt wer­den kann als gu­tes De­sign vorzustel­len.

Gu­tes De­sign ist schwer

Wenn man sich die Leu­te an­sieht, die Großes ge­lei­stet ha­ben, ha­ben tei­len of­fen­bar al­le die Ge­mein­sam­keit, dass sie re­gelrecht ge­schuf­tet ha­ben. Wenn man nicht hart ar­bei­tet, ver­plem­pert man wahr­schein­lich sei­ne Zeit. Schwie­rige Pro­ble­me ver­lan­gen nach her­ausragenden An­stren­gun­gen. In der Mathe­matik be­nö­ti­gen schwie­rige Be­weise aus­ge­klü­gel­te Lö­sun­gen, und die­se ten­die­ren da­hin, in­ter­es­sant zu sein. Das glei­che gilt für die In­ge­nieurs­wis­sen­schaf­ten.
Wenn man ei­nen Berg er­steigen will, wirft man al­les Überflüssige aus dem Ruck­sack. Und so wird ein Ar­chi­tekt, der auf schwie­ri­gem Ge­län­de oder mit ge­rin­gem Bud­get bau­en muss, her­ausfin­den, das er ge­zwun­gen ist, ein ele­gan­tes De­sign zu er­stel­len. Mo­de und Aus­schmück­un­gen wer­den un­ter der schwie­ri­gen Auf­ga­be, das Pro­blem über­haupt zu lö­sen, völ­lig zur Sei­te ge­drängt.
Nicht je­de Art von Schwie­rigkeit ist gut. Es gibt gu­ten und schlech­ten Schmerz. Man möch­te die Art Schmerz, der vom Lau­fen auf Höchst­tou­ren kommt, und nicht die Art, die man beim Treten auf ei­nen Na­gel ver­spürt. Ein schwie­ri­ges Pro­blem kann gut für ei­nen De­signer sein, aber ein wan­kel­mü­ti­ger Kun­de oder un­zu­ver­läs­si­ge Ma­te­ria­li­en sind es nicht.
In der Kunst wird tra­di­tio­nell das Ma­len ei­nes Por­träts als höch­ste Kunst ange­se­hen. Die­se Tra­di­ti­on hat was an sich, und nicht nur, weil Bil­der von Ge­sich­tern klei­ne Schal­ter in un­se­rem Hirn in Gang set­zen, wo bei an­de­ren Bil­dern nichts pas­siert. Wir sind so gut dar­in, Ge­sich­ter zu studieren, dass je­der, der die­se ma­len will, hart ar­bei­ten muss, um uns zu­frie­den­zu­stel­len. Wenn man ei­nen Baum malt und der Win­kel ei­nes Astes fünf Grad mehr be­trägt, dann nimmt nie­mand da­von Kennt­nis. Wenn man den Win­kel ei­nes Au­ges um fünf Grad än­dert, fällt das Leu­ten auf.
Als der Bau­haus­stil sich Sul­li­van's „Die Form folgt der Funk­ti­on“ zu Eigen mach­te, mein­ten die Leu­te da­mit, das sich die Form ei­nes Ge­gen­stan­des an sei­ner Funk­ti­on ori­en­tie­ren soll­te. Und wenn die Funk­ti­on be­reits ei­ne schwie­rige Auf­ga­be ist, er­zwingt dies die Form, da die not­wen­di­ge An­stren­gung kei­nen Raum für Feh­ler läßt. Wilde Tie­re sind schön weil sie ein har­tes Le­ben füh­ren.

Gu­tes De­sign schaut ein­fach aus

Wie Spit­zenathleten las­sen De­signer ih­re Auf­ga­be ein­fach aus­schau­en. Mei­stens ist das ei­ne Il­lu­si­on. Der leicht­gän­gi­ge Plau­der­ton des gu­ten Schrei­bens kommt erst nach dem ach­ten Neu­schrei­ben.
In der Wis­sen­schaft und im In­ge­nieurs­we­sen ma­chen ei­ni­ge der größ­ten Ent­deck­un­gen ei­nen so ein­fachen Ein­druck, dass man zu sich selbst sagt: „Ich hät­te selbst dar­auf kom­men kön­nen.“ Der Ent­deck­er ist be­rech­tigt zu ant­worten: „War­um sind sie nicht dar­auf gekom­men ?“
Ei­ni­ge von Leo­nar­do ge­zeich­ne­te Köp­fe sind bloß ein paar Li­nien. Man schaut sie sich an and man fragt sich, al­les, was man tun muss, ist die­se acht oder zehn Li­nien an den rich­tigen Platz zu set­zen und man be­kommt die­ses schö­ne Por­trät. Nun ja, aber man muss sie ge­nau am rich­tigen Platz set­zen. Der klein­ste Feh­ler und der gan­ze Ein­druck bricht zu­sam­men.
Li­nienzeich­nungen sind in der Tat das schwie­rigste vi­su­el­le Medium, weil sie fast voll­stän­di­ge Per­fektion ver­lan­gen. In der Mathe­matik entspre­chen sie ei­ner ge­schlos­se­nen Lö­sung; ge­rin­ge­re Gei­ster lö­sen die glei­chen Pro­ble­me durch schritt­wei­se An­nä­he­rung. Ei­ner der Grün­de, war­um Kin­der das Ma­len mit zehn oder so auf­ga­ben, ist, dass sie an­fan­gen, wie Erwachsene zu zeich­nen, und ei­nes der er­sten Din­ge, die sie ver­su­chen, ist ei­ne Li­nienzeich­nung ei­nes Ge­sich­tes. Aua !
In den mei­sten Ge­bie­ten taucht der Ein­druck der Ein­fachheit mit zuneh­mender Pra­xis auf. Viel­leicht trai­niert Pra­xis das Un­terbe­wußtsein dar­in, Auf­ga­ben zu er­le­di­gen, für die man nor­ma­ler­wei­se be­wußtes Hand­len er­for­dert. In ei­ni­gen Fällen trai­niert man sei­nen Kör­per im wahr­sten Sinn des Wor­tes. Ein Spit­zen­pia­nist ist fä­hig, No­ten schnel­ler zu spie­len als das Ge­hirn Si­gna­le zur Hand sen­den kann. Ge­nauso kann ein Künst­ler nach ei­ner Zeit sei­ne vi­su­el­le Wahr­neh­mung vom Au­ge zur Hand so au­to­ma­tisch flie­ßen las­sen wie je­mand, der sei­nen Fuß zum Takt be­wegt.
Wenn Leu­te dar­über spre­chen, in „der Zo­ne“ zu sein, den­ke ich, dass sie da­mit mei­nen, dass das Rück­en­mark die Si­tua­ti­on un­ter Kon­trol­le hat. Das Rück­en­mark ist we­niger zö­ger­lich und es be­freit be­wusstes Den­ken für die schwie­ri­gen Auf­ga­ben.

Gu­tes De­sign nutzt Sym­me­trie

Ich den­ke, Sym­me­trie mag nur ein Weg sein, um Ein­fachheit zu er­rei­chen, aber sie ist wich­tig ge­nug, um selbst er­wähnt zu wer­den. Die Na­tur be­nutzt sie häu­fig, was ein gu­tes Zei­chen ist.
Es gibt zwei For­men der Sym­me­trie, Wie­derholung und Re­kur­si­on[4]. Re­kur­si­on be­deu­tet Wie­derholung in Un­ter­elemen­ten, wie das Mu­ster der Blat­trip­pen von Laub­bäu­men.
Sym­me­trie ist nun als Re­ak­ti­on auf über­mä­ßi­ge An­wen­dung in man­chen Ge­bie­ten aus der Mo­de gekom­men. In vik­to­ria­nischen Zei­ten fin­gen Ar­chi­tek­ten be­wußt da­mit an, Ge­bäu­de asym­me­trisch anzule­gen und 1920 war Asym­me­trie ei­ne aus­drück­li­che Vor­aus­set­zung in der mo­der­nen Ar­chi­tek­tur. Aber selbst die­se Ge­bäu­de, die in den Haupt­ach­sen asym­me­trisch an­ge­legt wa­ren, hat­ten Hun­der­te von klei­neren Sym­me­trien. In der Schrift­stel­le­rei fin­det man Sym­me­trie auf je­der Ebene, von den Satz­glie­dern in Sät­zen bis zur Hand­lung im Ro­man. Das Glei­che in Mu­sik und Kunst. Mo­sai­ke (und ein paar Bil­der von Cé­zan­ne) bekom­men ei­nen zu­sätz­li­chen Schub da­durch, dass das Bild aus den sel­ben Bestandtei­len auf­ge­baut ist. Kom­po­si­tio­nel­le Sym­me­trie er­gibt ei­ni­ge der am ein­präg­sam­ten Ge­mäl­de, be­son­ders wenn die bei­den Hälf­ten mit­ein­an­der in­ter­agie­ren, wie es in die „Er­schaf­fung des Adam“ oder „American Go­thic“ ge­schieht. In der Mathe­matik und im In­ge­nieurs­we­sen ist be­son­ders Re­kur­si­on ein gro­ßer Vor­teil. Induktive Be­weise sind wun­der­voll kurz. Bei Soft­ware ist die re­kur­si­ve Lö­sung für ein Pro­blem, das so ge­löst wer­den kann, fast im­mer die be­ste Lö­sung. Der Eif­fel­turm sieht teil­wei­se so ein­drucks­voll aus weil er ei­nen re­kur­si­ven Auf­bau hat, ein Turm auf ei­nen Turm. Die Ge­fahr der Sym­me­trie und be­son­ders für die Wie­derholung be­steht dar­in, sie als Er­satz für das Nachden­ken zu ver­wen­den.

Gu­tes De­sign äh­nelt der Na­tur

Es ist nicht so sehr, dass Ähn­lichkeit mit der Na­tur an sich gut wä­re, son­dern dass die Na­tur lan­ge Zeit zur Ver­fü­gung hat­te, um ein Pro­blem zu lö­sen. Es ist ein gu­tes Zei­chen wenn Ih­re Ant­wort der­je­ni­gen der Na­tur äh­nelt. Kopieren ist nicht schum­meln. Kaum je­mand wür­de be­strei­ten dass ei­ne Ge­schich­te wie das Le­ben sein soll­te. Mit dem Le­ben als Vor­la­ge zu ar­bei­ten ist in der Ma­le­rei eben­falls ein nütz­li­ches Hilfsmit­tel, ob­wohl des­sen Rol­le oft miss­ver­stan­den wur­de. Das Ziel ist nicht nur ein­fach ei­ne Aufzeich­nung. Der Punkt ist, dass das vom Le­ben in­spi­rier­te Ma­len dem Geist et­was gibt, wor­an er kau­en kann: wenn die Au­gen et­was betrach­ten, wird die Hand in­ter­es­santere Ar­beit ab­lie­fern.
Das Imi­tie­ren der Na­tur funk­tio­niert auch bei den In­ge­nieu­ren. Boo­te hat­ten lan­ge Zeit ähn­lich wie der Rip­pen­ka­sten ei­nes Tie­res ei­nen Kiel und Span­ten. In ei­ni­gen Fällen muss man auf bes­se­re Tech­no­lo­gie war­ten: frü­he Flug­zeug­ent­wer­fer mach­ten den Feh­ler, Flug­zeu­ge wie Vö­gel zu ent­wer­fen, weil sie kei­ne Ma­te­ria­li­en oder An­trie­be hat­ten, die leicht ge­nug wa­ren (der Mo­tor der Wrights' wog 69 kg und lei­ste­te nur 12 Pfer­de­stär­ken (9 kW)) oder weil die Kon­troll­sy­ste­me nicht fort­ge­schrit­ten ge­nug wa­ren für Ma­schi­nen, die wie Vö­gel flie­gen, aber ich kann mir vor­stel­len, dass un­be­mann­te Auf­klä­rungs­flug­zeu­ge in fünf­zig Jah­ren wie Vö­gel flie­gen wer­den.
Da wir jetzt ge­nü­gend Re­chen­lei­stung ha­ben kön­nen wir so­wohl die Me­tho­de als auch die Re­sul­ta­te der Na­tur imi­tie­ren. Ge­netische Al­go­rith­men mö­gen uns Din­ge kon­stru­ie­ren las­sen die für nor­ma­le Ent­wurfs­me­tho­den zu komplex sind.

Gu­tes De­sign ist Rede­sign

Es ist sel­ten, die Din­ge beim er­sten Mal per­fekt hinzubekom­men. Ex­per­ten rech­nen da­mit, frü­he Ar­beit weg­zu­wer­fen. Sie er­war­ten, dass sich die Plä­ne än­dern wer­den.
Es ge­hört Selbst­ver­trau­en da­zu, Ar­beit weg­zu­wer­fen. Man muss in der La­ge sein, sich vorzustel­len, dass dort, wo das Er­geb­nis her­kommt, mehr sein kann. Bei­spiel: Wenn Leu­te an­fan­gen zu ma­len, sind sie ab­ge­neigt, Teile noch mal zu ma­len, die nicht rich­tig sind; sie glau­ben, dass sie bis da­hin Glück ge­habt ha­ben, so­weit gekom­men zu sein, und wenn sie ver­su­chen, et­was zu wie­derholen, dann wird es schlim­mer wer­den. Stattdes­sen über­zeu­gen sie sich selbst, dass die Zeich­nung nicht so schlecht ist, wirk­lich – ei­gent­lich ha­ben sie es ge­nauso ge­wollt.
Das ist ei­ne Ge­fahrenzo­ne; wenn man ir­gend­et­was kul­ti­vie­ren soll­te, dann das Unbe­frie­digtsein. In Leo­nar­dos Zeich­nungen gibt es oft fünf oder sechs Ver­su­che, die Li­nie rich­tig hinzubekom­men. Das auf­fäl­li­ge Heck des Por­sche 911 er­schien nur in dem Neu­entwurf ei­nes un­be­hol­fe­nen Pro­to­typs. In Wright's frü­hen Plä­nen für das Guggenheim-Mu­se­um in New York war die rech­te Hälf­te ein Zig­gu­rat, er kehr­te es um, um die der­zei­ti­ge Form zu bekom­men.
Feh­ler sind nor­mal. An­statt die­se als Ka­ta­stro­phe zu be­han­deln, ma­chen sie sie so, dass sie ein­fach zu erken­nen und ein­fach zu be­han­deln sind. Leo­nar­do er­fand mehr oder we­niger die Skiz­ze als ein Weg, mehr Ge­wicht auf das Erkun­den ei­ner Zeich­nung zu le­gen. Open Sour­ce Soft­ware hat we­niger Feh­ler weil sie die Mög­lich­keit von Feh­lern zu­gibt.
Es hilft, ein Mit­tel zu ver­wen­den, dass Än­de­run­gen ein­fach macht. Als Öl­far­be Tem­pe­rafarbe ver­dräng­te, half es den Ma­lern, mit so schwie­ri­gen Ge­gen­stän­den wie dem mensch­li­chen Kör­per umzuge­hen. Das lag dar­an, dass Öl im Ge­gen­satz zu Tem­pe­ra schat­tiert und über­malt wer­den kann.

Gu­tes De­sign kann ko­piert wer­den

Die Ein­stel­lung zum Kopieren macht oft ei­ne Rund­rei­se. Ein An­fän­ger ahmt oh­ne ei­ge­nes Wis­sen nach; dann ver­sucht er be­wusst, ori­gi­nell zu sein; zu­letzt ent­schei­det er sich da­für, dass es wich­ti­ger ist, rich­tig statt ori­gi­nell zu ar­bei­ten.
Unbe­wusstes Nach­ah­men ist fast im­mer ein Re­zept für schlech­tes De­sign. Wenn man nicht weiß, wo­her die Ide­en kom­men, ahmt man wahr­schein­lich selbst ei­nen Imi­ta­tor nach. Raf­fa­el durch­drang den Ge­schmack Mit­te des 19. Jahr­hun­derts so sehr, dass fast je­der, der ver­suchte zu ma­len, ihn imi­tier­te und sich oft­mals weit von ihm ent­fernte. Die­se Art von Wer­ken er­bo­ste die Prä­raf­fae­li­ten we­sent­lich mehr als Raf­fa­el's ei­ge­ne Ar­bei­ten.
Die Am­bio­ti­nier­ten wol­len nicht nach­ah­men. Die zwei­te Pha­se in dem Verfei­nern des Ge­schmacks ist der be­wusste Ver­such der Ori­gi­nalität.
Ich den­ke, die größ­ten Mei­ster ge­hen wei­ter um ei­ne Art Selbst­lo­sig­keit zu er­rei­chen. Sie wol­len nur noch die rich­tige Ant­wort fin­den, und wenn ein Teil der rich­tigen Ant­wort von je­mand an­de­rem be­reits ge­fun­den wur­de, ist dies kein Grund, die­se nicht zu ver­wen­den. Sie sind selbstbe­wusst ge­nug, um et­was von an­de­ren zu neh­men, oh­ne das Ge­fühl zu ha­ben, dass et­was von Ih­rer ei­ge­nen Vi­si­on ver­lo­ren­ge­gan­gen ist.

Gu­tes De­sign ist oft selt­sam

Ein paar der be­sten Ar­bei­ten hat ei­ne un­heim­li­che Qua­li­tät: Die Eulersche Iden­ti­tät, Brueg­hels „Jä­ger im Schnee“, die SR-71,Lisp. Sie sind nicht nur ein­fach schön, son­dern strahlen ei­ne selt­same Schön­heit aus.
Ich weiß nicht war­um. Es mag bloß mei­ne ei­ge­ne Dumm­heit sein. Ein Do­sen­öff­ner muss un­heim­lich für ei­nen Hund aus­se­hen. Viel­leicht, wenn ich klug ge­nug wä­re, wür­de ich e = -1 als die na­tür­lich­ste Sa­che der Welt anse­hen. Es ist schließ­lich not­wen­di­gerweise wahr.
Die mei­sten der Qua­li­täten, die ich er­wähnt ha­be, kann man kul­ti­vie­ren, aber ich den­ke nicht, dass es für Selt­samkeit funk­tio­niert. Das be­ste, was man ma­chen kann, ist die­se nicht zu un­ter­drück­en, wenn sie an­fängt, auf­zu­tau­chen. Ein­stein ver­suchte nicht mal, die Re­la­ti­vi­tätstheo­rie selt­sam aus­se­hen zu las­sen. Er woll­te ei­ne wah­re Be­schrei­bung ha­ben und die Wahr­heit stell­te sich als selt­sam her­aus.
An ei­ner Kunst­schu­le, wo ich einst stu­diert ha­be, woll­ten die Stu­den­ten sehn­lichst ei­nen per­sön­li­chen Stil ent­wick­eln. Aber wenn man ein­fach ver­sucht, gu­te Din­ge herzustel­len, wird man es un­ver­meid­bar in ei­ner un­ver­wech­sel­ba­ren Weise tun, ge­nauso wie je­de Per­son ei­nen ei­ge­nen, un­ver­wech­sel­ba­ren Gang hat. Michelan­gelo woll­te nicht ver­su­chen, wie Michelan­gelo zu ma­len. Er woll­te bloß gut ma­len; er konn­te nicht an­ders ma­len als Michelan­gelo.
Der ein­zi­ge Stil den zu ha­ben sich lohnt, ist der Stil, den man ein­fach nicht an­ders kann. And das gilt be­son­ders für Selt­samkeit. Da gibt es kei­ne Ab­kür­zung. Die Nord­west­pas­sa­ge[5], die die Ma­nie­ri­sten, die Ro­man­ti­ker und zwei Ge­ne­ra­tio­nen von ame­ri­ka­ni­schen High­school-Stu­den­ten ge­sucht ha­ben, scheint nicht zu exi­stie­ren. Der ein­zi­ge Weg, da­hin zu ge­lan­gen, ist den Gang des Gu­ten zu wäh­len und auf der an­de­ren Sei­te hinauszukom­men.

Gu­tes De­sign pas­siert häpp­chen­wei­se.

Die Ein­woh­ner von Flo­renz im 15. Jahr­hun­dert wa­ren un­ter an­de­rem Bru­nel­le­schi, Do­na­tel­lo, Ma­sac­cio (aka Tom­ma­so Cas­sai), Fil­ip­po Lip­pi, Fra An­ge­li­co, Ver­rocchio, Bot­ti­cel­lo, Leo­nar­do und Michelan­gelo. Mi­lan war zu der Zeit so groß wie Flo­renz. Wie vie­le Künst­ler des 15. Jahr­hun­derts aus Mi­lan ken­nen sie mit Na­men ? Et­was pas­sier­te in Flo­renz im 15. Jahr­hun­dert. Und es konn­te nichts mit Ver­er­bung zu tun ha­ben weil es heut­zu­ta­ge nicht pas­siert. Man muss an­neh­men, dass egal, wel­che in­ne­re Ver­an­la­gung Leo­nar­do und Michelan­gelo mit­brach­ten, es Leu­te in Mi­lan ge­ge­ben ha­ben muss, die ge­nausoviel mit­brach­ten. Was pas­sier­te mit dem Mi­la­ner Leo­nar­do ?
Es gibt ge­ra­de zu die­sem Zeit­punkt et­wa tau­send­mal mehr Leu­te in den USA als in Flo­renz wäh­rend des 15. Jahr­hun­derts. Ein­tau­send Leo­nar­dos und ein­tau­send Mi­chel­an­ge­los be­fin­den sich un­ter uns. Wenn die DNA uns be­herr­schen wür­de, soll­ten wir täg­lich neue künst­le­rische Wun­der­wer­ke er­le­ben. Wir er­le­ben dies nicht, und der Grund ist der­je­ni­ge, dass um ein Leo­nar­do zu wer­den, mehr als an­ge­bo­re­nes Ta­lent be­nö­tigt wird. Man be­nö­tigt auch ein Flo­renz des Jah­res 1450.
Nichts wiegt schwe­rer als ei­ne Ge­mein­schaft von ta­len­tier­ten Leu­ten, die an ver­wand­ten Auf­ga­ben ar­bei­tet. Ge­ne zäh­len im Ver­gleich da­zu we­nig: Ein ge­ne­ti­scher Leo­nar­do reich­te als Kom­pen­sa­ti­on für den Ge­burt­ort Mi­lan statt Flo­renz nicht aus. Heut­zu­ta­ge sind wir we­sent­lich mo­bi­ler, aber groß­ar­ti­ge Ar­beit kon­zen­triert sich im­mer noch über­wie­gend auf ein paar Brenn­punk­te: Bau­haus, Man­hat­tan Pro­jekt, New Yor­ker, Lockheed's Skunk Works, Xe­rox Parc.
Zu je­der Zeit gibt es ein paar bren­nen­de The­men and ein paar Grup­pen, die groß­ar­ti­ge Ar­beit dar­in lei­sten, und es ist prak­tisch un­mög­lich, ei­ge­ne gu­te Ar­beit zu lei­sten, wenn man zu weit von die­sen Zen­tren ent­fernt ist. Man kann an die­sen Trends ein we­nig hin- und her­rüt­teln, aber man kann sich nicht da­von los­ma­chen. (Viel­leicht kön­nen Sie es, aber die Mi­la­ner Leo­nar­dos konn­ten es nicht.)

Gu­tes De­sign ist oft mu­tig

An je­dem Zeit­punkt der Ge­schich­te ha­ben Leu­te an Din­ge ge­glaubt, die ein­fach lä­cher­lich wa­ren, und sie ha­ben so stark dar­an ge­glaubt, dass man Aus­gren­zung oder so­gar Ge­walt­ta­ten be­fürch­ten muss­te, wenn man et­was an­de­res be­haup­tet hat.
Wä­re un­se­re Zeit ei­ne Aus­nah­me, dann wä­re das be­mer­kens­wert. So­weit ich se­hen kann, trifft dies je­doch nicht zu.
Die­ses Pro­blem be­trifft nicht nur je­den Zeit­punkt, son­dern in gewis­sen Maß­stab je­des Ge­biet. Vie­les in der Kunst der Re­nais­sance war zu Ih­rer Zeit schock­ie­rend welt­lich: Nach Angaben von Va­sa­ri be­reu­te Bot­ti­cel­li sei­ne Ar­beit und gab das Ma­len auf, und Fra Bar­to­lo­meo und Lo­ren­zo di Cre­di ha­ben tat­säch­lich ei­ni­ge Ih­rer Wer­ke ver­brannt. Vie­len zeit­ge­nös­si­schen Phy­sikern war Ein­steins Theo­rie der Re­la­ti­vi­tät ein Dorn im Au­ge und es dau­er­te Jahr­zehn­te, bis sie voll ak­zep­tiert war – in Frank­reich dau­er­te es bis 1950.
Die heu­ti­gen ex­pe­ri­men­tel­len Feh­ler sind die neu­en Theo­rien der Zu­kunft. Wenn man neue groß­ar­ti­ge Din­ge ent­deck­en will, dann soll­te man dort, wo sich kon­ven­tio­nel­le Weis­heit und Wahr­heit nicht be­son­ders gut ver­tra­gen, be­son­ders gut hin­schau­en an­statt sich ab­zu­wen­den.

Prak­ti­scherweise den­ke ich, dass es ein­facher ist, Häß­lichkeit zu erken­nen als sich Schön­heit vorzustel­len. Die mei­sten der Leu­te, die wun­der­vol­le Din­ge ge­schaf­fen ha­ben, ha­ben dies wohl da­durch er­reicht, dass sie et­was ver­bes­sert ha­ben, was ih­nen als häß­lich er­schien. Groß­ar­ti­ge Ar­beit be­ginnt ge­wöhn­li­cher­wei­se da­mit, dass je­mand et­was sieht und denkt: „Das kann ich bes­ser hinbekom­men“. Giot­to sah sich die tra­di­tio­nellen by­zan­ti­ni­schen Ma­don­nas an, die nach ei­ner Re­gel her­ge­stellt wur­den, die je­den jahr­hun­dertelang be­frie­digt hat­te, und für Ihn sa­hen sie höl­zern und un­na­tür­lich aus. Ko­per­ni­kus war so unbe­frie­digt durch die Not­lö­sung, die je­den an­de­ren sei­ner Zeit­ge­nos­sen be­frie­digt hat­te, dass er fühl­te, es muss ei­ne bes­se­re Lö­sung ge­ben.
In­to­le­ranz für Häß­lichkeit reicht al­lei­ne nicht aus. Man muss ein Ge­biet gut ver­stehen, be­vor man ei­ne Na­se da­für ent­wick­eln kann, was be­rich­tigt wer­den muss. Man muss sei­ne Hausauf­ga­ben ma­chen. Aber wenn man Ex­per­te in ei­nem Ge­biet wird, fängt man an, lei­se Stimmen zu verneh­men, die ei­nem sa­gen: „Was für ei­ne un­be­frie­di­gen­de Lö­sung ! Es muss ei­nen bes­se­ren Weg ge­ben.“ Ignorieren Sie nicht die­se Stimmen. Kul­ti­vie­ren Sie sie. Das Re­zept für groß­ar­ti­ge Ar­beit ist: sehr tref­fen­der Ge­schmack und die Fä­higkeit, sich da­zu zu be­glück­wün­schen.

Be­mer­kun­gen:

Sul­li­van hat ei­gent­lich „form ever fol­lows func­ti­on“ (Die Form er­gibt sich im­mer aus der Funk­ti­on), aber ich den­ke, die üb­li­che Fehl­zi­tie­rung ist nä­her zu dem, was mo­der­ne Ar­chi­tek­ten aussa­gen woll­ten.

Ste­phen G. Brush, „Why was Re­la­ti­vi­ty Ac­cep­ted ?“ Phys. Perspect. 1 (1999) 184-214.

An­mer­kun­gen des Über­set­zers

[1] Equan­ten sind ei­ne Idee des pto­le­mäi­schen Weltmo­dells. Die Pla­ne­ten bewe­gen sich nicht in Krei­sen um die Son­ne, son­dern sehr gut angenä­hert in El­lip­sen (al­so oval­för­mig) und un­gleich­mä­ßig; in Son­nennähe sind sie schnel­ler als in Son­nenferne. Von der Er­de aus be­ob­ach­tet bewe­gen sich die Pla­ne­ten dementspre­chend teil­wei­se sehr merk­wür­dig. Die rei­ne Kreis­form, die in Schul­bü­chern im­mer wie­der als Mo­dell der Antike und des Mit­tel­al­ters falsch (!) ange­ge­ben wird, führt zu un­lös­ba­ren Wi­der­sprü­chen. Die an­ti­ken Astro­no­men wa­ren sich die­ser Pro­ble­ma­tik sehr wohl be­wusst, konn­ten sich aber von der of­fen­baren Not­wen­dig­keit des Krei­ses we­gen sei­ner Äs­the­tik und man­geln­der Al­ter­na­ti­ven nicht lö­sen. Ari­starch hat be­reits das he­lio­zen­tri­sche Mo­dell (al­so Er­de um Son­ne) im drit­ten Jahr­hun­dert vor­ge­schla­gen, konn­te sich aber nicht durch­set­zen. Der Grund war, dass ei­ne sich bewe­gende Er­de ei­ne Ver­schie­bung der Fixster­ne im Lau­fe des Jah­res verursa­chen müss­te. Ari­sto­te­les fol­ger­te kor­rekt dar­aus, dass das Fehlen sol­cher be­ob­acht­ba­rer Ver­schie­bun­gen gi­gan­ti­sche Ent­fer­nun­gen der Ster­ne im­pli­zie­ren müss­te und konn­te sich ein­fach ein so rie­si­ges und lee­res Uni­ver­sum nicht vor­stel­len. Al­so muss­ten sich Son­ne und Pla­ne­ten um die Er­de dre­hen. Pto­le­mä­us lö­ste dies schließ­lich da­mit, dass er den Dreh­punkt des Mo­dells vom Erd­mit­tel­punkt ver­schob (Equant) und die Pla­ne­ten auf ih­rer Um­lauf­bahn (De­fe­ren­te) noch ein­mal klei­nere Krei­se (Epi­zy­kel) be­schrei­ben lässt. Dies führ­te zu ei­nem völ­lig un­an­schau­lichen Sy­stem, das je­doch die Be­ob­ach­tun­gen ei­ni­germaßen be­schrei­ben konn­te.

[2] Mit Se­ri­fen sind die­se klei­nen An­häng­sel oben und un­ten im Schrift­satz ge­meint.

Die­se Schrift ent­hält Se­ri­fen.
Die­se Schrift ent­hält kei­ne Se­ri­fen.

[3] Verle­genheitsübersetzung: Das Ori­gi­nal heißt „Womb Chair“, „Womb“ heißt „Ge­bär­mut­ter“.

[4] Ein paar Bei­spie­le für Re­kur­si­on. Sie ken­nen die­se rus­si­schen Ma­trosch­ka Püpp­chen ?

Bild einer Matroscka Puppe
Auf­nah­me Adri­an Ping­sto­ne, Bri­stol, Eng­land mit Er­laub­nis des Ge­schäfts­be­sit­zers. Freige­ge­ben als Pu­blic Do­main.

Oder stel­len Sie sich fol­gen­den (scherz­haf­ten) Wör­ter­buch­ein­trag vor:

[5] Die Nord­west­pas­sa­ge ist der äu­ßerst schwie­rige Ver­such, Ame­ri­ka vom At­lan­tik zum Pa­zi­fik über die nörd­li­che Rou­te durch das Eis­meer zu um­fah­ren und ist und auch heu­te kaum nutz­bar. Paul Gra­ham ver­wen­det es im me­ta­pho­ri­schen Sinne.