Clay Shirky: Eine Gruppe ist ihr eigener schlimmster Feind
Ein Vortrag bei der ETech, geschrieben April 2003, übersetzt von Thorsten Siebenborn mit freundlicher Genehmigung von Clay Shirky.
Original:A Group Is Its Own Worst Enemy
Fußnoten entsprechen eigenen Anmerkungen
Insbesondere möchte ich darüber reden, was ich für eine der zentralen Herausforderungen für das Design von sozialer Software halte, die im großflächigem Maßstab eingesetzt werden soll. Weil der Begriff immer noch ziemlich unbestimmt ist, erlauben Sie mir, Ihnen eine Definition von sozialer Software zu geben. Meine Definition ist ziemlich einfach: Es ist Software, die es einer Gruppe erlaubt, zu interagieren. Obwohl es eine ziemlich einfache Definition ist, möchte ich auch betonen, wie fundamental dieses Muster ist. Das Internet unterstützt viele grundlegende Arten der Kommunikation: sowohl einseitig als auch beidseitig, als Einzelperson oder als Gruppe.
Vor dem Internet hatten wir viele Muster, die beidseitige Kommunikation für Einzelpersonen erlaubt. Wir hatten das Telefon, wir hatten den Telegraf. Wir waren an die technologische Umsetzung dieser Verständigung gewöhnt. Vor dem Internet hatten wir viele Muster, die es dem einzelnen erlaubt, eine Gruppe zu erreichen. Ich konnte etwas über das Fernsehen oder das Radio senden oder ich konnte eine Zeitung publizieren. Wir hatten die Druckerpresse. Während das Internet diese Arten der Kommunikation gut unterstützt, kannten wir bereits diese Kommunikationsformen.
Vor dem Internet war die letzte und einzige Technologie, die einen wirklichen Einfluss darauf hatte, wie sich Leute zusammenfinden und reden…der Tisch. Es gab keine technische Unterstützung für Gruppengespräche. Das, was noch am nächsten herankommt, war die Konferenzschaltung, die niemals richtig funktionierte – „Hallo ? Drücke ich jetzt den Knopf ? Oh, Mist, ich habe gerade aufgelegt.“ Es ist nicht leicht, eine Konferenzschaltung einzurichten, aber es ist lächerlich einfach, fünf Freunde anzumailen und zu fragen: „He, wohin gehen wir Pizza essen ?“ Eine so lächerlich einfache Gruppenbildung ist wirklich eine Neuigkeit.
Wir haben soziale Software nun seit maximal 40 Jahren, datiert seit dem Aufkommen des Plato BBS Systems[1] , und davon haben wir nur ungefähr 10 Jahre mit einer weitverbreiteten Verfügbarkeit. Deshalb sind wir immer noch dabei, herauszufinden, was funktioniert.
Software, die Kommunikation innerhalb einer Gruppe erlaubt, ist jetzt grundsätzlich unbefriedigend definiert, da es sich auf keine spezielle Technologie bezieht. Wenn ich mir E-Mail so anschaue, dann kann ich damit offensichtlich soziale Beziehungen unterstützen, allerdings erlaubt E-Mail das Verbreiten von Nachrichten. Wenn ich ein Spammer bin, dann werde ich eine Million Leute anmailen, aber weder werden die Empfänger der Mail miteinander reden noch werden ich und die Empfänger in Kontakt treten – Spam ist E-Mail, aber es fehlen soziale Bindungen. Wenn ich Sie anmaile und sie schreiben mir zurück, haben wir einseitige oder beidseitige Kommunikation, aber nichts, was Gruppendynamik erzeugt.
Obwohl es dazu in der Lage ist, unterstützt E-Mail also nicht notwendigerweise soziale Bindungen oder Gruppenbeziehungen. Das gleiche gilt für ein Blog. Wenn ich Glenn Reynolds[2] bin und ich etwas mit ausgeschalteten Kommentaren veröffentliche und damit eine Million Leser erreiche, dann handelt es sich um das Verbreiten von Nachrichten. Interessant, dass man dies als Einzelperson tun kann, aber das Muster der Kommunikation hat mehr mit einem Nachrichtensender als mit einem Gespräch zu tun. Wenn es wiederum eine kleine Anzahl von LiveJournal-Benutzern ist, die mit den anderen über ihr Leben sprechen, dann ist es wiederum sozial. Wiederum: Obwohl Blogs dazu in der Lage sind, soziale Muster zu unterstützen, sind sie nicht notwendigerweise eine Form der Geselligkeit.
Nichtsdestotrotz denke ich, dass es die richtige Definition ist, weil sie die grundsätzlich gesellige Natur des Problems anerkennt. Gruppen sind dynamisch. Man kann nicht vorhersehen, wie eine Gruppe agieren wird und deshalb kann Software auch nicht so gebaut werden, dass sie auf jede Möglichkeit eingehen kann.
Es gibt jetzt eine riesige Menge an Literatur, die sagt: „Wir entwickelten diese Software, eine Gruppe entstand und fing an, sie zu benutzen. Die Gruppe zeigte nun für uns absolut überraschendende Verhaltensweisen, also haben wir diese Verhaltensweisen aufgezeichnet.“ Dieses vertraute Muster taucht wieder und wieder und wieder auf. (Ich höre Stewart Brand, die Ikone der amerikanischen Gegenbewegung, auflachen). The WELL[3], eines der ersten Online-Communities, ist eines der Plätze, wo dieses Muster immer und immer wieder auftaucht.
Dieser Vortrag ist in drei Teile aufgebaut. Die beste Erklärung, die ich für die Verhaltensweisen gefunden habe, die in menschlichen Gruppen auftauchen, stammt aus der psychologischen Forschung vor der Zeit des Internets. Deshalb wird sich der erste Teil, mit dem ich gleich beginnen werde, mit der Forschung von W. R. Bion befassen, die, so glaube ich, erklärt, wie und warum eine Gruppe ihr eigener schlimmster Feind ist.
Der zweite Teil ist: Warum jetzt ? Was geht genau in diesem Augenblick vor, was diese Fragestellung so wichtig macht ? Ich denke, wir sehen eine wirklich interessante Revolution soziale Software betreffend im derzeitigen Umfeld.
Und drittens möchte ich ein paar Dinge ausmachen, etwa ein halbes Dutzend Dinge, die den Kern jeder Software ausmachen, die größere und langlebige Gruppen unterstützt.
Erster Teil: Wie kann eine Gruppe ihr eigener schlimmster Feind sein ?
Bion war ein Psychologe, der Gruppentherapie mit einer Gruppe von Neurotikern durchführte (Vergleiche mit Internet-Benutzern zu ziehen überlasse ich dem Leser). Die Erkenntnis, zu der Bion gelangte, war, dass die Neurotiker als Gruppe seine Therapieversuche untereinander im Einklang sabotierten.
Es gab keine Absprachen oder Planungen. Aber jedesmal, wenn er versuchte, etwas zu tun, was einen nachhaltigen Effekt hervorrufen sollte, fand die Gruppe einen Weg, dies zu verunmöglichen. Und der Versuch, herauszufinden, ob er die Situation vom Gesichtspunkt eigenmächtiger Aktionen bestimmter Gruppenmitglieder oder als koordinierten Gruppenimpuls sehen sollte, trieb ihn, bildlich gesprochen, fast in den Wahnsinn.
Er war nicht in der Lage, dies aufzulösen und so entschied er sich, dass die Unauflösbarkeit der Frage die Antwort ist. Die Antwort auf die Frage: „Siehst Du Gruppen als Ansammlung von Einzelpersonen oder als Personen, die sich geschlossen der Gruppeneinheit unterordnen ?“ war seiner Meinung nach: „Die Gruppe ist beidem hoffnungslos verpflichtet.“
Er sagte, dass Menschen grundsätzlich Individuen sind und gleichzeitig grundsätzlich sozial sind. Jeder von uns hat eine Art rationalen Verstand, der auf dem, was er wahrnimmt, Entscheidungen trifft und ausführt. Und wir alle sind in der Lage, instinktiv emotionale Beziehungen mit anderen Gruppenmitgliedern einzugehen, die über den intellektuellen Aspekt des Einzelnen hinausgehen.
Tatsächlich war Bion von der Richtigkeit seiner Aussage so überzeugt, dass das Titelbild seines Buches einen Neckerwürfel darstellt. Der Neckerwürfel ist doppeldeutig, man kann ihn aus einer Perspektive oder aus einer anderen sehen, aber niemals gleichzeitig. Genauso können Gruppen sowohl als Ansammlung von Individuen als auch vom Gesichtspunkte emotional basierter Gruppenerfahrung analysiert werden.
Nun kann man diese Art des Gruppenzusammenhalts ziemlich leicht bei Gruppen mit formaler Zugehörigkeit ihrer Mitglieder beobachten, Gruppen, die ihre eigene Bezeichnung haben und wo die Mitglieder sich „Ich bin ein Mitglied der-und-der Gilde in dem-und-dem MMORPG“ bezeichnen. Aber Bion's These ist, dass der Einfluss viel, viel tiefer beginnt und viel, viel früher zum Tragen kommt als Leute erwarten würden. Deshalb möchte ich dies mit einer Geschichte verdeutlichen, und um die Geschichte selbst zu verdeutlichen, erzähle ich eine Geschichte aus Ihrem Leben. Obwohl ich Sie nicht kenne, weiß ich, dass ich etwas beschreibe, was Ihnen selber passiert ist.
Sie sind auf einer Party und sie beginnen sich zu langweilen. Sie sagen zu sich selbst: „Das bringt mir irgendwie nichts mehr. Eigentlich möchte ich woanders sein. Eigentlich würde ich lieber zuhause schlafen. Die Leute, mit denen ich reden will, sind nicht da.“ Was auch immer. Die Party erzeugt nicht das Interesse, dass sie brauchen. Und dann passiert etwas wirklich Bemerkenswertes: Sie verlassen die Party nicht. Sie haben eine Entscheidung getroffen: „Ich will das nicht.“ Wenn sie in einem Bücherladen wären und zu sich selber sagen: „Ich bin fertig“, dann gehen sie raus. Wenn sie in einem Café wären und zu sich selber sagen: „Das ist langweilig“, dann gehen sie raus.
Sie befinden sich auf einer Party, sie sagen sich: „Ich will das nicht, ich möchte nicht hier sein.“ Und dann verlassen Sie die Party nicht. Diese Art des sozialen Zusammenhalts ist das, worüber Bion redet.
Und dann passiert wieder etwas Bemerkenswertes. Zwanzig Minuten später steht eine Person auf und holt sich ihren Mantel, und was passiert ? Plötzlich holen sich alle gleichzeitig ihren Mantel. Und das bedeutet, dass jeder für sich entschieden hat, dass die Party nichts für ihn/sie ist. Niemand handelte dementsprechend, bis schließlich das erlösende Ereignis eintrat, welches die Spannung aus der Gruppe nahm und jedem erlaubte, sich ohne Gewissensbisse zu entfernen.
Dieser Effekt ist so vorhersehbar dass man es als Gruppenparadoxon bezeichnet hat. Es ist klar, dass es keine Gruppe ohne Mitglieder geben kann. Aber was weniger offensichtlich ist, dass es keine Mitglieder ohne Gruppe gibt. Von was wäre man denn Mitglied ?
Es gibt also diesen sehr komplizierten Augenblick, wenn eine Gruppe zusammenkommt; wenn genug Individuen, aus welchem Grund auch immer, entscheiden, dass etwas Wertvolles im Entstehen begriffen ist und sich in diesem Augenblick entscheiden: Das ist gut und muss beschützt werden. Und in diesem Moment, selbst wenn es sich unbewusst abspielt, beginnen sich Gruppeneffekte zu bilden. Und diese Effekte kommen immer und immer wieder in Netzgemeinden zum Vorschein.
Jetzt entschied sich Bion, dass das, was er mit den Neurotikern erlebt hatte, die Gruppe war, die sich gegen seine Bemühungen auflehnte, sie dahin zu bringen, wohin die Gruppe hin sollte. Die Gruppe war zur Besserung zusammengekommen, die Mitglieder wollten zur Therapie, um sich zu bessern. Aber die Mitglieder untergruben dies. Und er sagte, dass es sehr genaue Muster gab, die die Gruppe verwendete, um den vordergründigen Zweck ihrer Zusammenkunft zu sabotieren. Und er beschrieb drei Muster.
Das erste Muster ist offenherziges Herumflirten, was er in seiner Wortwahl aus der Mitte des vorherigen Jahrhunderts als „Eine Gruppe, die sich zum Paarbilden trifft“ beschreibt. Und das meint, dass die Gruppe sich einen Raum für anzügliches und anspielendes Verhalten und den emotionalen Austausch von Gefühlen einräumt.
Sie gehen ins IRC, schauen sich die Liste der Kanäle an und sagen sich: „Oh, ich weiß, warum es sich bei dieser Gruppe handelt, weil ich den Namen des Kanals lesen kann.“ Und man geht in die Gruppe und findet praktisch ohne Ausnahme heraus, dass auch herumgeflirtet wird. Nicht unbedingt öffentlich. Aber es ist nach Bion immer in unmittelbarer Reichweite bei menschlichen Gesprächen. Es ist eins der Grundmuster, die einer Gruppe den Ausweg aus der eigentlichen Zweckbestimmung der Gruppe zu einem Grundbedürfnis ermöglicht.
Das zweite Muster, das Bion identifiziert hat, ist das Erkennen und Verdammen von äußeren Feinden. Das ist ein äußerst häufiges Muster. Jeder, der sich im Dunstkreis der Open-Source Bewegung Mitte der neunziger Jahre bewegt hat, konnte dies ständig beobachten. Wenn man sich für Linux auf dem Desktop engagiert hat, gab es eine riesige Liste von Tickets zu bearbeiten. Aber man konnte auch immer eine Unterhaltung über Microsoft und Bill Gates anfangen. Und die Leute wurden dabei so wütend wie ein Bär mit wundem Arsch.
Wenn man etwas besser machen will, gibt es eine Liste von Dingen, die man machen kann. Es ist Open Source, richtig ? Mach es einfach richtig. „Nein, nein, Microsoft und Bill Gates grrrrrrrr…“, und der Mund fängt an zu schäumen. Der äußere Feind – nichts kann eine Gruppe so wachrütteln wie ein äußerer Feind.
Selbst wenn jemand nicht wirklich ein Feind ist; diesen als Feind zu identifizieren kann ein angenehmes Gefühl des Gruppenzusammenhaltes erzeugen. Und Gruppen neigen dazu, sich gerade den Mitgliedern, die am misstrauischsten sind, zuzuwenden und diese als Gruppenführer zu ernennen, weil gerade diese diejenigen sind, die äußere Feinde am leichtesten erkennen können.
Das dritte Muster, was Bion fand, ist das der religiösen Verehrung: Die Heiligsprechung und die Verehrung eines religiösen Gegenstandes oder ein Satz von religiösen Grundsätzen. Das religiöse Muster ist, im Grunde gesagt, das wir etwas in den Status des Nichtangreifbaren erheben. Man kann dieses Muster jeden Tag im Internet erkennen. Gehen Sie in eine Tolkien Newsgruppe oder Diskussionsforum and sagen sie: „Ihr wisst, die zwei Türme sind ein wenig eintönig. Ich meine, laaang. Wir brauchen keine so lange Beschreibung des Waldes, er ist ja praktisch die ganze Zeit immer derselbe.“
Versuchen Sie, eine solche Diskussion zu führen. Auf der Eingangstür der Gruppe steht: „Der Zweck der Gruppe ist die Diskussion von Tolkien's Werken.“ Gehen Sie rein und versuchen Sie, diese Diskussion zu führen.
Nun, an manchen Orten werden die Leute mit: „Ja, aber es war notwendig, um die Stimmung der Abgeschlagenheit herüberzubringen.“ antworten oder so was in der Art. Aber in den allermeisten Fällen wird man Sie mit Flüchen hinausjagen, weil sie am heiligen Text herummäkeln.
Das sind die menschlichen Muster, die im Internet auftreten, nicht wegen der Software, sondern weil es bei Menschen auftritt. Bion hat herausgefunden, dass diese Basisbedürfnisse den eigentlichen Daseinszweck der Gruppe untergraben können. Und, nachdem er diese Spannungen hinreichend untersucht hat, kam er zu dem Ergebnis, dass eine Gruppenstruktur notwendig ist. Robert's Rules of Order[5] sind notwendig. Eine Konstitution ist notwendig. Normen, Rituale, Gesetze, so dass wir um das Universum der möglichen Verhaltensweisen nur einen kleinen Kreis der akzeptablen Verhaltensweisen dulden.
Er sagte, die Gruppenstruktur ist notwendig, um die Gruppe gegen sich selbst verteidigen zu können. Die Gruppenstruktur existiert, um die Gruppe auf ihr Ziel, ihren Pfad, ihre Mission, ihre Aufgabe, was auch immer, halten zu können. Um die Gruppe auf ihr eigenes gewähltes Ziel zu halten und die Gruppe vom Abrutschen in die Grundbedürfnisse zu hindern. Die Gruppenstruktur verteidigt die Gruppe gegen die Handlungen ihrer Mitglieder.
In den Siebzigern - ein Muster, das im Netz immer und immer wieder auftaucht - wurde ein elektronisches Schwarzes Brett mit dem Namen Communitree gestartet, eines der ersten Boards, die mit dem Modem verbunden wurden. Das war zu einem Zeitpunkt, als nur Institutionen und keine Leute Computer hatten.
Communitree wurde auf dem Grundsätzen des offenen Zugangs und des freien Dialoges geschaffen. „Communitree“ – der Name allein sagt schon „Kalifornien in den Siebzigern.“ Und die Auffassung war, dass, wenn man Struktur abwirft, neue und wunderschöne Muster entstehen werden.
Und, tatsächlich, wie jeder, der Diskussionssoftware dazu benutzt hat, um vorher unverbundene Leute zusammen zu bringen, bestätigen kann, passiert genau das. Unglaubliche Dinge passieren. Die frühen Jahre des Echo, die frühen Jahre des Usenets, die frühen Jahre des Lucasfilms Habitat[6], immer und immer wieder sah man diesen unglaublichen Auftrieb bei Leuten, die vorher keine Beziehung hatten und zusammengeführt wurden.
Und dann, während die Zeit vergeht, treten Schwierigkeiten auf. In diesem Fall wurde eines der Schwierigkeiten dadurch veranlasst, dass eine der mit Modems ausgestatteten Institutionen eine High School war. Und natürlich hingen die Jungs der High School 1978 in den Computerräumen und deren Modems herum. Und die Jungs waren nicht interessiert an kultivierten Erwachsenengerede. Sie wollten Zoten. Sie wollten anzüglich reden. Sie wollten Amok laufen und Flüche und Verhöhnungen über das Schwarze Brett ausschütten.
Und die Erwachsenen, die Communitree gegründet hat, waren entsetzt und wurden von den Studenten überlaufen. Der Ort, der auf freien Zugriff gegründet worden war, war zu frei zugänglich und zu offen. Sie konnten sich nicht selbst gegen die eigenen Benutzer verteidigen. Der Ort, der auf dem freien Dialog gegründet worden war, war zu frei. Sie hatten keine Möglichkeit zu sagen: „— Nein, das ist nicht die Art freier Meinungsäußerung, die wir gemeint haben.“
Aber das war eine Notwendigkeit. Um sich gegen die Vereinnahme zu verteidigen, hätten sie dieses haben müssen was sie nicht hatten, und als Resultat wurde das Schwarze Brett aufgegeben.
Nun kann man sich fragen, ob die Unfähigkeit der Gründer, sich gegen diesen Angriff wehren zu können, ein technisches oder ein soziales Problem war. Erlaubte die Software nicht, das Problem zu lösen ? Oder war es die sozialen Überzeugungen der Gründergruppe, die es einfach nicht fertig brachten, Zensur in ihr System einzufügen um es zu schützen ? Aber um es kurz zu sagen, es spielt keine Rolle weil technische und soziale Probleme tief zusammenhängen. Es gibt keinen Weg, diese vollkommen getrennt zu behandeln.
Was wirklich eine Rolle spielt ist, dass eine Gruppe das System entworfen hat und unfähig war, es in dem von ihnen entworfenen Kontext, der teilweise technisch und teilweise sozial war, von einem derartigen inneren Angriff zu schützen. Und es war ein innerer Angriff. Communitree wurde nicht von jemandem beendet, der den Server zum Absturz bringt oder darin herumhackt. Es wurde beendet von Leuten, die sich einloggen und senden konnten, also genau das, wofür das System ausgelegt war. Die technologische Herangehensweise des normalen Benutzers und des Angreifers war vom System identisch, es gab also schlichtweg keine Möglichkeit. Einige der Benutzer wollten, dass das System fortbesteht und ein Forum für Diskussionen bietet. Und die anderen Benutzer, die High School Jungs, scherten sich nicht darum oder sabotierten aktiv. Und das System war nicht dafür ausgelegt, die ersten vor den letzten zu schützen.
Diese Geschichte ist oft geschrieben worden. Es ist wirklich frustrierend zu sehen, wie häufig es geschrieben wurde. Man hofft, dass jemand an irgendeinem Punkt den Verlauf aufschreibt, und das passiert sogar oft, aber wenn es aufgeschrieben wird, liest es niemand.
Die netteste Art, dieses sich wiederholende Muster zu bezeichnen, ist „Lernen aus Erfahrung.“ Aber von Erfahrung lernen ist die schlimmste Art, etwas zu lernen, es ist eine Stufe höher als das Erinnern. Das ist nicht schön. Der beste Weg, etwas zu lernen, ist es, wenn jemand es herausgefunden hat und einen warnt: „Gehe nicht in den Sumpf. Es gibt dort Alligatoren.“
Aus Erfahrung über Alligatoren zu lernen ist im Vergleich zu der Erfahrung vom Lesen erbärmlich. Leider hat man in diesem Gebiet nicht viel vom Lesen gelernt. Und so kam es, dass die Lektionen aus dem Lucasfilm Habitat, das 1990 geschrieben wurde, sich den Beschreibungen von Rose Stone aus dem Communitree 1978 frappierend ähneln.
Das Muster passiert wieder und wieder und wieder. Jemand baut ein System und setzt dafür bestimmte Benutzer voraus. Die Benutzer kamen und zeigten ein anderes Verhalten. Und die Leute, die das System am Laufen halten, stellen entsetzt fest, dass technologische und soziale Probleme nicht entkoppelt werden können.
Es gibt ein herausragendes Dokument „LambdaMOO Takes a New Direction“, das von den Administratoren des LambdaMOO handelt. LambdaMOO war das Experiment von Pavel Curtis, der in Xerox PARC ein Multiuser-Rollenspiel aufsetzte. Und eines Tages sagten die Administratoren von LambdaMOO: „Wir haben das System aufgesetzt und am Laufen und es gibt diese interessanten sozialen Vorkommnisse. Von nun an sind wir nur für die technologischen Probleme verantwortlich, wir kümmern uns nicht um das Soziale.“
Und dann, etwa 18 Monate später – ich weiß die genaue Zeit nicht mehr – kamen sie zurück. Die Administratoren kamen extrem griesgrämig zurück. Und sie sagten: „Was wir von euch jammernden Benutzern gelernt haben, ist, dass wir nicht das tun können, was wir tun wollten. Wir können die technischen Aspekte einer virtuellen Welt nicht von deren sozialen Aspekten trennen.“
„Also sind wir zurück, und wir nehmen die Gebote von uns zurück und wir werden Dinge tun, um das System am Laufen zu halten. Wir setzen uns ab sofort als Regierung ein, weil dieser Ort hier eine Regierung braucht, um nicht auseinanderzufallen.“
Leute, die an sozialer Software arbeiten, stehen geistig näher zu Wirtschafts- und Politikwissenschaftlern als Leute, die Compiler programmieren. Beides sieht wie Programmierung aus, aber es ist eine komplett andere Geschichte, wenn man mit Gruppen als Laufzeitphänomen zu tun hat. Im politischen Bereich spricht man bei dieser Art Krisen von einer Verfassungskrise. Es passiert dann, wenn die Spannung zwischen Individuen und der Gruppe sowie deren Rechten und Pflichten zueinander so groß geworden ist, dass etwas getan werden muss. Und weil es nicht einfach nur um „Wir brauchen ein paar Regeln“ geht, ist die schlimmste Krise die erste Krise. Es geht nämlich auch um „Wir brauchen ein paar Regeln, um weitere Regeln aufzustellen.“ Und das ist genau das, was wir immer wieder in großen und langlebigen Systemen von sozialer Software beobachten. Eine Verfassung ist ein notwendiger Bestandteil von großen, langlebigen und unterschiedlich zusammengesetzten Gruppen. Geoff Cohen hat eine bemerkenswerte Beobachtung gemacht. Er sagte: „Die Wahrscheinlichkeit, dass eine unmoderierte Gruppe irgendwann in einen hitzigen Streit darüber gerät, ob ein Moderator benötigt wird, nimmt mit der Zeit zu.“ Wenn eine Gruppe ihre Existenz als gegeben voraussetzt und der Meinung ist, dass die Gruppe kostbar und wichtig geworden ist, dann wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sie weitere Strukturen zur internen Verteidigung einführen will, sehr stark an.
Zweiter Teil: Warum jetzt ?
Ich kann nicht genau sagen warum, aber rein von der Beobachtung her findet eine Revolution in sozialer Software statt. Die Anzahl der Leute, die Software zur Unterstützung oder Verbesserung der Zusammenarbeit von Gruppen erstellen, ist erstaunlich.
Das Web hat uns für einen Zeitraum von sechs bis acht Jahren zu Riesen gemacht. Es besteht aus unabhängigen Teilen, es besitzt keinen festen Inhalt, es wuchs über alle Grenzen und jeder fragte sich Wie-groß-kann-man-werden: „Wieviele Benutzer hat Yahoo ? Wie viele Kunden hat Amazon ? Wie viele Leser hat MSNBC ?“ Und die Antwort darauf könnte sein: „Wirklich ziemlich groß !“ Aber es konnten nur wirklich viele werden, weil keine Notwendigkeit bestand, dass MSNBC allen Lesern antwortet oder MSNBC den Lesern erlaubt, miteinander in Kontakt zu treten.
Der Nachteil dessen, das man Größe und Umfang über alles setzt, ist, dass das dichte Netz der Verständigung und Zusammenarbeit bei Gruppen einfach nicht über eine Maximalgröße hinausgeht. Klein sein ist ein Unterschied – kleine Gruppen können sich auf eine Weise verständigen die bei großen Gruppen einfach nicht möglich ist. Und so sind wir an dem interessanten Bereich kleiner Gruppen vorbeigerauscht. Größer als ein Dutzend, kleiner als mehrere Hundert, wo Leute eine Form der Kommunikation verwenden können, die nicht mehr offensteht, wenn man über den Bereich von Zehntausenden oder Millionen von Benutzern redet.
Mailinglisten und Schwarze Bretter gab es schon sehr lange, vor kurzem sind Instant Messenger und Chat aufgetaucht, all diese Kommunikationsmuster gab es bereits. Und plötzlich tauchen neue Dinge auf. Wir haben jetzt Blogs und Wikis, und was ich für noch wichtiger erachte, eigene Kommunikationsplattformen. Wir bekommen RSS, wir bekommen gemeinsam genutzte Flash-Objekte. Wir bekommen Möglichkeiten, etwas sehr schnell auf bereits bestehende und für selbstverständlich angenommene Infrastrukturen aufzubauen.
Ich sprach mit Stewart Butterfield über die Chatapp, die sie gerade ausprobieren. Ich fragte: „He, wie funktioniert das ?“ Er antwortete: „Na ja, wir hatten die Idee vor etwa zwei Wochen. Das ist der Start.“ Wenn man von „He, ich habe eine Idee“ zu „Lasst uns das jetzt vor mehreren hundert Geeks starten und sehen, wohin das führt“ hinkommen kann, dann liegt die Schlussfolgerung nahe, dass Plattformen vorhanden sind, die Leute sehr schnell sehr interessante Dinge machen lässt. Es ist nicht so, dass man etwas Ähnliches nicht ein paar Jahre früher hätte machen können, aber die Kosten wären wesentlich höher gewesen. Und wenn der Preis fällt, passieren interessante neue Dinge.
Die erste Antwort auf „Warum jetzt ?“ ist also „Weil die Zeit reif ist.“ Ich kann nicht sagen, warum es so lange gedauert hat, bis Blogs auftauchten, aber ich kann sagen, dass es nicht von der Technologie abhing. Wir hatten die komplette Technologie für Blogs ab dem Tag, als Mosaic den ersten Browser, der Gestaltung unterstützte, auf den Markt brachte. Jedes einzelne Teil davon war vorhanden. Stattdessen bekamen wir Geocities. Warum bekamen wir Geocities und keine Blogs ? Wir wussten nicht, was wir taten.
Das eine war eine schlechte Idee, die andere stellte sich als wirklich gute Idee heraus. Es dauerte längere Zeit, bis man herausfand, dass die Möglichkeit, mehrere Leute miteinander reden zu lassen anstatt verwackelte Katzenfotos hochzuladen, eine brauchbare Idee ist.
Wir bekamen das Blogmuster ungefähr '96 mit Drudge[7]. Wir bekamen Blogplattformen ungefähr '98. Die Idee hob 2000 wirklich ab. Letztes Jahr hat jeder verstanden: Oh Gott, das wird ein wirklicher Trend, und es ändert alles.
Der Moment, an dem mir schwummrig wurde, war, als Phil Gyford das Pepys Blog startete, Samuel Pepy's Tagebücher aus 1660 in Blogform mit einem neuen Eintrag pro Tag. Das sagte mir: Phil setzte voraus, was ich jetzt auch glaube, dass Blogs mindestens für 10 Jahre da sein werden, weil das die Dauer von Pepys Tagebuch umfasst. Und das war der Moment, den man in die Zukunft projiziert: Das ist jetzt Infrastruktur, die wir als gegeben annehmen.
Warum gab es diese 8-Jahres-Lücke zwischen einem Browser, der Gestaltung unterstützt, und dem Pepys Tagebuch ? Ich weiß es nicht. Es dauert einfach eine Zeit, bis sich Leute an eine neue Idee gewöhnen.
Also, als erstes, ist es nur eine teilweise Revolution, weil es eine Revolution ist. Wir haben die Ideen verinnerlicht und Leute arbeiten jetzt damit. Zweitens sind jetzt die Dinge, die Leute bauen, im Internet heimisch.
Als man soziale Software im Web während Mitte der Neunziger Jahre bekam, war das meiste: „Dies ist das große Lotus Schlachtschiff, nun mit der federleichten Benutzeroberfläche des Webs !“ Es fühlte sich nie wie das Web an. Es fühlte sich an wie das Schwergewicht mit ein bisschen, sie wissen schon, „Hier sind ein paar Schaltflächen. Bitte schauen Sie nicht hinter den Vorhang.“
Ein Blog ist heimisch im Web. Es baut alles auf dem Web auf. Ein Wiki ist eine natürliche Art des Webs zur gemeinsamen Bearbeitung. Es ist leichtgewichtig, es besteht aus unabhängigen Teilen, es ist leicht erweiterbar, es ist leicht in Bestandteile zu zerlegen. Und es ist nicht nur die Oberfläche, wie, ja, man kann jetzt auch Dinge in einem Formular erledigen. Es nimmt HTTP als Standardtransportprotokoll. Es nimmt Auszeichnungen im Quelltext an. RSS ist ein natürliches Verfahren, Dinge aus dem Web in einem Paket zusammenzufassen und abrufbar zu machen. Wir nehmen alle diese Werkzeuge und erweitern sie auf eine Art, die uns neue Dinge sehr schnell machen lässt.
Drittens, können wir jetzt das Kleine-Dinge-Lose-Zusammenhängend Muster, das wie in David Weinberger's treffende Floskel beschreibt, implementieren. Es ist wirklich lohnend, sich anzuschauen, was Joi Ito mit seiner Emergent Democracy („Aufstrebende Demokratie“) Bewegung anstellt, selbst wenn man nicht an den Themen einer aufstrebenden Demokratie interessiert ist. Es begann während einer Unterhaltung und Ito sprach: „Ich bin frustriert. Ich sitze hier in Japan, und ich weiß, dass all die Leute sich in Echtzeit untereinander unterhalten. Ich möchte auch eine Unterhaltung in Gesellschaft haben. Ich fange eine Konferenzschaltung an.“
„Weil aber Konferenzschaltungen für sich selbst so abgrundtief schlecht sind, bringe ich ein Chat mit ein.“ Und dann, während des ersten Meetings, ich glaube, es war Pete Kaminski, sagte jemand: „Ach übrigens, ich habe auch noch ein Wiki aufgesetzt, und hier ist die URL.“ Und er schrieb es im Chat. Und Leute konnten sich Randnotizen machen. Leute konnten Lesezeichen setzen, hier sind die Listen.
So hatten wir plötzlich dieses Meeting, dass gleichzeitig auf drei verschiedene Arten stattfand, zwei in Echtzeit und eine durch Erläuterungen. So lief die Konferenzschaltung und sie wissen ja, wie Konferenzschaltungen normalerweise ablaufen. Entweder gibt es ein oder zwei dominierende Teilnehmer oder jeder unterbricht den anderen: „Oh, kann ich — “„— Nein, aber — .“
Es ist sehr schwierig, eine Konferenzschaltung zu koordinieren, weil Leute den anderen nicht sehen können und damit nicht wissen, wie und wann man unterbrechen kann. In Joi's Konferenzschaltung bewegte sich der Fluss der Unterbrechung zum Chatroom. Die Leute tippten: „Hand“ und der Moderator leitet das Gespräch mit „Du bist der nächste“ weiter. Die Konferenzschaltung lief wie geschmiert ab.
Währenddessen machten Leute Randbemerkungen zu dem, was andere Leuten sagten, im Chat. „Ach, das erinnert mich an XYZ's Arbeit.“ Oder „Sie sollten sich diese URL anschauen…achten sie mal auf diese ISBN Nummer.“ In einer Konferenzschaltung muss man eine URL vorlesen — „— Nein, nein, es ist We We We Punkt Strich…“ In einem Chat bekommt man es gleich angezeigt und kann darauf klicken. Man kann auch sowohl in der Konferenzschaltung als auch im Chat auf das Wiki verweisen.
Dies war ein Breitbandkonferenzschaltung, aber das war jetzt nicht das Ausschlaggebende. Es waren nur drei kleine Softwarebausteine, die nebeneinander benutzt wurden und durch sozialen Klebstoff zusammengehalten wurden. Das ist eine unglaublich durchschlagende Vorlage. Es ist komplett anders als: Lasst uns den Lotus Blob nehmen und eine Webbenutzeroberfläche hinzufügen.
Und letztlich, und das ist das, was wirklich umwerfend ist, ist die Allgegenwärtigkeit. Das Web ist lange, lange Zeit gewachsen. Und so hatten ein paar Leute Webzugriff, dann hatten viele Leute Webzugriff und dann haben die meisten Leute Webzugriff.
Aber etwas anderes passiert jetzt. In vielen Situationen haben alle Leute Webzugriff. Und „alle“ ist etwas anderes als „die meisten.“ „Alle“ heißt, dass Leute etwas für gegeben annehmen.
Das Internet ist jetzt nicht überall verfügbar. Es ist nicht mal überall in den Industrieländern. Aber für einige Leute – Studenten, Arbeiter in High-Tech Büros, Arbeiter in datenbasierten Berufen – alle, mit denen sie arbeiten, sind online. Alle ihre Freunde sind online. Jeder in ihrer Familie ist online.
Und diese Allgegenwart sorgt dafür, dass Leute dies für selbstverständlich halten. Bill Joy sagte mal: „Meine Methode ist es, auf etwas zu schauen, was eine gute Idee sein könnte und es für wahr zu halten.“ Wir beginnen, Software zu sehen, die schlicht annimmt, dass alle Gruppen, die nicht auf dem Netz basieren, eine Netzkomponente zu haben.
Es ist nun möglich, dass jedes lose Grüppchen, von Pfadfinderinnen ab aufwärts, eine leichtgewichtige und leicht handhabbare Onlinekomponente zu haben. Und das ist was anderes als das alte Muster einer „Onlinegemeinschaft.“ Ich habe dieses Bild von zwei Hula-Hoop, die alte Hula-Hoop Welt, wo das reale Leben hier ist und das Online Leben dort und es keine Überschneidung gab. Wenn die Hula-Hoop im Einklang schwingen, und jeder sowohl offline als auch online ist, dann ist das meiner Ansicht nach ein ganz anderes Modell.
Es gibt auch ein zweites allgegenwärtiges Etwas, und das ist das, was das Wifi ermöglicht. Wenn man annimmt, dass sobald eine Gruppe sich zusammengefunden hat, sie sich sowohl gegenübersitzen als auch online sind, dann werden andere Dinge ermöglicht. Ich organisiere jetzt nur noch Meetings, bei denen entweder ein Chat oder ein Wiki vorhanden sind. Drei Wochen vorher gab es ein Meeting in der Kongressbibliothek. Wir hatten ein von Socialtext aufgesetztes Wiki mit einer großen und relativ dichten Informationsmenge über die Langzeitarchivierung digitaler Inhalte.
Die Leute, die das Meeting organisiert haben, hatten niemals zuvor ein Wiki benutzt, und jetzt redet die Kongressbibliothek davon, als ob sie von jetzt an immer ein Wiki zur Verfügung haben werden – das Wiki entwickelte sich von neuartig zu selbstverständlich innerhalb weniger Tage.
Es entsteht wirklich schnell die Annahme dass eine Gruppe etwas in der Art macht wie: „Oh, ich habe meine Folien der Powerpoint-Präsentation mitgenommen, gezeigt, und dann ins Wiki gepackt. Ihr könnt sie jetzt direkt haben.“ Es entwickelt sich daraus eine Art gemeinsame Datensammlung als Erinnerung für die Gruppe. Das ist neu. Diese Art der Allgegenwärtigkeit, dass jeder, der in einem Raum ist auch gleichzeitig online sein kann, führt zu neuartigen Verhaltensweisen.
Dritter Teil: Was können wir für selbstverständlich annehmen ?
Ich denke, ja. Etwa vor 10 Jahren habe ich meine Arbeit an den Nagel gehängt weil das Usenet so interessant war und ich mir dachte: „Das wird richtig groß.“ Und ich schrieb ein Buch über die Netzkultur zu jener Zeit: Usenet, the Well, Echo, IRC und so weiter. Es kam April '95 auf den Markt, genau zu dem Zeitpunkt, als das Web sich über die Welt ausbreitete. Aber es war mein ursprüngliches Interesse und ich habe mich etwa anderthalb Jahre damit ziemlich intensiv damit beschäftigt.
Da ist also die Frage: „Was benötigt man, damit eine große, langlebige Gruppe erfolgreich ist ?“ und ich kann darauf mit einigem Vertrauen antworten: „Es kommt darauf an.“ Ich hoffe, in den nächsten 10 Jahren der Antwort ein paar Details hinzufügen zu können.
Aber ich kann zumindest ein paar der notwendigen Dinge mitteilen. Die Calvinisten hatten die Doktrin der natürlichen und der übernatürlichen Gnade. Die natürliche Gnade war „Man muss alle Dinge in der normalen Welt richtig machen, um in den Himmel zu kommen…“ und die übernatürliche Gnade war „…und Gott muss Dich akzeptieren.“ Und man wusste nie, ob man übernatürliche Gnade besaß oder nicht. Das war ihr Weg, um mit der Offenbarung des Johannes zurechtzukommen, die eine obere Grenze derjenigen, die in den Himmel kommen, vorsah.
Soziale Software ist genauso. Man kann die gleiche Software in vielen, vielen Umgebungen einsetzen. Manchmal funktioniert sie, manchmal nicht. Es gibt also in gewisser Weise etwas Übernatürliches über die laufenden Erfahrungen, die eine Gruppe mit der Software macht.
Die normale Erfahrung sozialer Software ist der Fehlschlag. Wenn man die Yahoo-Gruppen besucht und die Anzahl der Einschreibungen betrachtet, dann ist es ein Potenzgesetz. Es gibt eine kleine Gruppe von stark besuchten Gruppen, einige etwas größere Gruppen mit etwas Verkehr und ein langes, flaches Anhängsel von Fehlschlägen. Und die Anzahl der Fehlschläge ist immer mehr als die Hälfte von der totalen Anzahl von Mailinglisten. Es gibt also kein Patentrezept. Es gibt nichts, was man tun kann, um immer erfolgreich zu sein.
Es gibt jedoch etwa ein halbes Dutzend Dinge, die ich in allen erfolgreichen Gruppen und Verfassungen angetroffen habe, die Software für große und langlebige Gruppen verwendet. Und ich werde diese Liste in zwei Teile teilen: die eine Liste sagt, was man akzeptieren muss, um eine derartige Software zu erstellen und die andere sagt, was man als Ziel dafür im Auge behalten muss.
Drei Dinge, die akzeptiert werden müssen
Aber wir hatten genau diese Erfahrung, wo es eine Diskussionsliste der sozialen Software gab und irgendjemand vorschlug: „He, ich weiß, laßt uns eine zweite Liste für technische Probleme aufmachen.“ Und niemand zog von der ersten Liste um, weil niemand die Besprechung zwischen sozialen und technischen Problemen aufspalten konnte, weil diese Besprechung schlicht nicht aufgespaltet werden kann.
Die andere Vorgehensweise ist sehr, sehr anziehend – jeder, der es sich anschaut, hat die selbe Eingebung, die da ist: „Oh mein Gott, die Software findet heraus, was Leute genau machen !“ Und es stimmt meistens, bis zu einem gewissen Punkt. Aber soziale Probleme können eben nicht komplett programmiert werden. Man kann die beiden Dinge nicht aufteilen und man kann die sozialen Probleme nicht mit Technologie erschlagen. Die Gruppe wird ihre Rechte irgendwie in Anspruch nehmen und man endet mit diesem Gemisch technischer und sozialer Probleme.
Die Gruppe ist real. Es werden unvorhersehbare Dinge passieren. Das kann nicht ignoriert werden und es kann nicht programmiert werden, das heißt, man wird mit einem laufenden Problem zu tun haben. Und das beste Verfahren, oder zumindest dasjenige, das meistens funktioniert, ist es, die Gruppe selbst definieren zu lassen, was für sie von Wert ist und verteidigt werden soll, anstatt darüber Annahmen in der Software zu machen.
2. Die zweite Sache, die akzeptiert werden muss: Mitglieder unterscheiden sich von Benutzern. Es wird so ablaufen, dass es eine Gruppe von Benutzern herauskristallisiert, die sich stärker als die anderen um die Integrität und den Erfolg der Gruppe kümmert. Und diese Leute werden die Kerngruppe bilden, Art Kleiner nannte sie „die Gruppe innerhalb der Gruppe die am wichtigsten ist.“
Die Kerngruppe bei Communitree besaß keinen Unterschied zu den zufälligen Benutzern die aufschlugen. Sie waren voneinander in ihren Auffassungen getrennt, weil sie wussten, was sie wollten, aber nicht in der Lage waren, sich gegen die anderen Benutzer zu verteidigen. In wirklich jeder erfolgreichen Onlinegemeinschaft, die ich besichtigt habe, gab es eine Kerngruppe, die sich um die Belange kümmert und die Gruppe pflegt. Die Umgebung wird gepflegt, um ein weiteres gesundes Wachstum zu erlauben.
Nun, die Software erlaubt es oft der Kerngruppe nicht, sich als solche zu präsentieren, deshalb erwähne ich das, weil es akzeptiert werden muss. Wenn es die Software der Kerngruppe nicht erlaubt, sich als solche darzustellen, dann erfindet sie Wege, um dies trotzdem zu tun.
Auf der alt. folklore. urban (AFU), der Usenetliste, die sich für urbane Legenden im Usenet interessiert, gab es eine Gruppe, die dort herumhing und sich schließlich befreundeten. Und irgendwann sorgten sie sich um die Zukunft von AFU, so dass sie eine eigene Mailingliste mit dem Namen Old Hats aufmachten, da Usenet kein Unterschied zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen macht. Die Mailingliste behandelte Metaprobleme, Diskussionen über AFU, so dass sie sich gemeinsam koordinieren konnten, wenn es notwendig war, jemanden zu ignorieren, zu beschimpfen oder zu trollen.
Zusatz, 2. Juli 2003: Ein alteingesessenes a. f. u. Mitglied hat erzählt, dass die Old Hat Liste erstellt wurde, um den im Silicon Valley lebenden Mitgliedern eine Möglichkeit zu geben, andere zum Barbecue einzuladen und sich zusätzlich zu den virtuellen Gesprächen untereinander unterhalten zu können. Die Benutzung der Mailingliste als Hinterzimmer für Diskussion über die Newsgruppe ergab sich danach.
Schließlich, da das Usenet wuchs, kamen viele Neuankömmlinge und mochten die Umgebung, weil es geschmiert lief. Um sich gegen das Problem des unkontrollierten Zuwachses zu schützen, sagten sie: „Wir starten eine neue Liste, die Young Hats.“
Damit erstellten sie ein dreigeteiltes System, nicht ganz unähnlich zum System bei Slashdot, wo es anonymen Feiglinge, die Benutzer mit Profil und diejenigen mit viel Karma gibt. Weil das Usenet ihnen eine solche Struktur nicht erlaubte, wurde andere Software mit ins Spiel gebracht, diese Mailinglisten, die sie zum Bau dieser Struktur brauchten. Man kann also nicht die Benutzer programmieren, the Alteingesessenen finden sich zueinander und werden sich gegenseitig erkennen.
3. Das dritte Prinzip, was akzeptiert werden muss: Die Kerngruppe hat Rechte, die individuelle Rechte in gewissen Situationen übertrumpfen. Das geht sehr gegen den Strich der im Netz häufig vorkommenden libertären Denkweise und es geht diametral gegen das Ein-Mensch-eine-Stimme Prinzip. Aber man kann an Beispielen zeigen, wie schlecht die Idee von Wahlen ist, wenn man Mitgliedschaft mit der Möglichkeit teilzunehmen gleichsetzt.
In den früheren Neunzigern gab es ein Vorschlag für eine neue Gruppe soc.culture.tibet, die sich mit tibetischer Kultur befasst. Und dieser wurde abgelehnt, weil es eine große Gruppe chinesischer Studenten mit Internetanbindung gab, die den Vorschlag mit der Begründung ablehnten, dass Tibet kein Staat, sondern eine Region von China war, die bereits eine Gruppe besaß. Und von dieser Einstellung aus wurde argumentiert, da Tibet kein Staat war, wäre die Existenz einer solchen Kultur widersprüchlich und es sollte es keinen Platz für derartige Diskussionen geben.
Jetzt kann jeder sehen, dass das die falsche Antwort ist. Die Leute, die über tibetische Kultur diskutieren wollten, sollten die Möglichkeit haben. Es war eine Kerngruppe. Weil jedoch das Modell des Usenets die Ein-Mensch-eine-Stimme „Jeder im Usenet darf in jeder Gruppe abstimmen“ war, konnten umstrittene Gruppen einfach weggestimmt werden.
Stellen sie sich vor, dass heute in den USA Internetbenutzer darüber abstimmen dürfen, ob sich eine Antikriegsbewegung formieren darf. Oder dass französische Benutzer erst abstimmen müssen bevor sich eine Kriegsbewegung formieren kann. Die Leute, die diese Diskussion haben wollen, sind diejenigen, auf die es ankommt. Und bedingungslose Mitgliedschaft mit der Idee, dass, sobald man sich einloggen kann, man automatisch volle Rechte besitzt, ist ein schlechter Ansatz; es ist eine Tyrannei der Mehrheit.
The Kerngruppe benötigt Wege, sich selbst zu verteidigen – einmal um sich zu formieren und wegen der Effekte, von denen ich gesprochen habe – damit sie bei ihrer Charta bleibt und nicht den Grundbedürfnissen nachgibt.
Die Wikipedia hat heute ein ähnliches System: Mit einer freiwilligen Feuerwehr, eine Gruppe von Leuten, die sich ungewöhnlich stark einbringen, um den Erfolg von Wikipedia zu gewährleisten. Und sie haben aufgrund der Weise, wie Wikis funktionieren, genügend Einfluss um Graffiti zurückzunehmen, so dass Wikipedia trotz wiederholter Attacken immer noch steht. Eine Kerngruppe an Einfluss gewinnen zu lassen ist ein mächtiges Werkzeug.
Wenn ich jetzt gesagt habe, dass man diese drei Dinge akzeptieren muss, meine ich, dass man diese Dinge akzeptieren muss. Wenn man diese nämlich von vornherein nicht akzeptiert, dann werden sie früher oder später trotzdem eingeführt werden müssen. Und dann schreibt man wieder eines dieser Dokumente, die beschreiben: „Oh, wir haben dies und jenes gestartet, und dann haben wir es ausprobiert, und dann kamen die Benutzer und trieben seltsame Dinge. Und jetzt werden wir dies dokumentieren so dass spätere Generationen nicht denselben Fehler machen.“ Obwohl man genau dieselben Dokumente von 1978 nicht gelesen hat.
Alle rechtschaffenen Gruppen haben eine Verfassung. Die Verfassung ist teils formell, teils informell. Der formelle Teil befindet sich minimal im Code der Software – „Die Software funktioniert so.“
Der informelle Teil ist die Grundeinstellung „wie wir hier zu verfahren pflegen.“ Und egal, wie umfangreich dies in den Statuten oder dem Code niedergelegt ist, es gibt immer einen informellen Teil. Diese beiden können nicht getrennt werden.
Vier Dinge, die man im Auge behalten sollte.
Ich sagte absichtlich nicht „Identität“ sondern „Repräsentation“, weil „Identität“ plötzlich eines dieser Dinge geworden ist, bei dem man bereits beim leichten Ziehen daran einen ganzen Sack voll Probleme bekommt. Identität ist eines der heißumstrittenen Themen der Zeit, aber für das leichtgewichtige Teil der sozialen Software kommt es nur auf die Repräsentation an.
Inzwischen hat fast jeder verstanden, dass Anonymität nicht gut in einer Gruppenumgebung funktioniert, weil die Grundbedingung einer Konversation ist, dass man weiß, wer was gesagt hat. Was man häufig nicht bedenkt, ist, dass schwache Pseudonymität auch nicht so recht funktioniert. Ich benötige etwas, was mir erlaubt, etwas, was jemand jetzt zu mir sagt, mit früheren Gesprächen in Verbindung zu bringen.
Das weltbeste Reputationssystem der Welt befindet sich in unserem Gehirn. Und es befindet sich wirklich genau da, im emotionalen Teil des Gehirns. Alle Arbeiten der Welt an Reputationssystemen ist entweder unbedeutend oder nutzlos, weil Reputation weder in eine Formal gefaßt oder übertragbar ist.
Es gibt Leute, die ihre Frau betrügen, aber ehrlich beim Kartenspielen sind. Oder umgekehrt. Oder dies weder noch oder sowohl als auch tun. Das Ansehen von jemand ist nicht ohne weiteres von einer Situation zur anderen übertragbar und es kann nicht auf einfache Art ausgedrückt werden.
eBay hat uns alle keinen Gefallen getan weil eBay auf einmaligen und stückweisen Vorgängen basiert, die genau das Gegenteil von sozialen Situationen sind. eBay's Reputationssystem funktioniert deshalb so gut, weil es von einer formellen Situation ausgeht – „Wieviel Geld für wieviel Smurfs ?“ und dies in eine mathematisch faßbare Metrik ausdrückt.
Das funktioniert nicht so gut in sozialen Situationen. Wenn man ein gutes Leumundssystem haben möchte, laß mich daran erinnern, wer Du bist. Und wenn Du mir einen Gefallen tust, werde ich mich daran erinnern. Und ich speichere das nicht vorne, sondern hinten in meinem Gehirn ab. Ich bekomme dann ein gutes Gefühl, wenn ich wieder E-Mail von Dir bekomme; ich weiß nicht mal warum. Und wenn Du mir einen Bärendienst erwiesen hast und ich dann E-Mail von Dir bekomme, dann werden meine Schläfen anfangen zu pochen und ich weiß auch nicht warum. Wenn man Benutzern die Möglichkeit gibt, sich zu erinnern, dann entsteht Ansehen und dafür benötigt man eine einfache und dauerhafte Repräsentation.
Benutzer müssen identifiziert werden können und es muss eine Strafe dafür geben, die Repräsentation ändern zu wollen. Die Strafe muss jetzt nicht unbedingt drakonisch sein. Aber sobald ich meine interne Repräsentation ändern will, dann muss ich ein Stück Ansehen oder Rechte aufgeben müssen. Das sorgt für ein reibungsloses Funktionieren.
Das geht natürlich gegen die Auffassung, die man über das Internet seit den ersten psychologischen Schriften darüber hatte. „Ach, im Internet werden wir von einer Identität zur anderen schlüpfen wie man Socken wechselt.“
Und dann passieren Dinge wie die Geschichte der Kaycee Nicole, eine Frau, die vorgab, ein High-School Student zu sein. Als dann ihre Online-Freunde eine immer tiefere emotionale Beziehung zu ihr aufbauten, versuchte sie, die virtuelle Person zu töten: „Oh, sie leidet an Krebs, wird sterben und es ist alles so furchtbar.“ Und natürlich wollte jeder zu ihr kommen. Das verursachte Panik und sie tauchte ab. Das sorgte dafür, dass insbesondere die MetaFilter Gemeinschaft Ermittlungen anstellte und schließlich herausfand, was los war. Es war eine Art verteilte Detektivarbeit.
Einige Leute werden dies jetzt als Hinweis verstehen und rufen: „Sehen Sie, das ist doch genau das, was ich mit Identität meine !“ Aber die Moral der Geschichte von Kaycee Nicole ist diese: Die Identität zu wechseln ist eine eigenartige Sache. Sobald die Gemeinschaft herausfindet, dass man nicht der ist, der man vorgibt zu sein, dann hat man eine rote Linie überschritten. Und die Gemeinschaft wird ein erstaunlich großen Aufwand treiben, um Dich zu finden und zu bestrafen. Identität ist nicht so wandelbar, wie uns die frühe Literatur darüber uns glauben lassen will.
2. Zweitens, gib den Mitgliedern die Möglichkeit, ihre Dienste sichtbar werden zu lassen. Erlaube es, gute Arbeit erkennbar werden zu lassen. Der minimale Weg ist Identifizierbarkeit. Man kann auch mehr ausgeklügelte Dinge wie Karma oder Länge der Zugehörigkeit hinzufügen.
Ich bin zwiegespalten, ob das unabdingbar oder ein lohnendes Ziel ist. Einerseits glaube ich, dass Mitglieder mit gutem Ruf automatisch aufsteigen. Aber immer mehr Systeme, die derzeit auftauchen, haben zusätzliche Akkreditierungen, um zu sagen, wie stark ein Mitglied mit dem System verwoben ist.
Es gibt eine interessante Beobachtung, die ich über die Musik-Tauschbörse gemacht habe, die zwischen Tokio und Hongkong läuft. Die Mitglieder haben eine Mailingliste, die sie selbst aufgesetzt haben. Wenn sie Musik austauschen, dann machen sie das, indem sie 180 GByte Festplatten versenden. So können sie unkomprimierte Musik (WAV-Format) anstatt stark komprimierte MP3s versenden, und sie machen das in Masse.
Man kann sich vorstellen, dass es gewisse Organisationen gibt, die das überhaupt nicht lustig finden und man macht sich zum Ziel dieser Organisationen. Wenn man der Gruppe beitreten will, dann wird der eigene Name mit dem Namen deines Unterstützers verknüpft. Ohne Unterstützer kann man der Gruppe nicht beitreten. Der Effekt dessen auf das Ansehen ist unmittelbar sichtbar, nur dadurch, dass zwei Repräsentationen miteinander verbunden sind.
In diesem System wird man schließlich ein eigenes Mitglied mit Ansehen, selbst wenn der Unterstützer wegfällt und man auf sich alleine gestellt ist. Wenn jedoch jemand abtrünnig wird, dann wird nicht nur man selbst, sondern auch der Unterstützer ausgestoßen. Es gibt jede Menge Möglichkeiten, die Idee eines gutes Rufes zu akzeptieren und damit zu arbeiten.
3. Drittens: Man benötigt ein Mindestmaß von Barrieren zum teilnehmen. Dies ist einer der Dinge, die Usenet getötet haben. Es muss etwas geben, was Aufwand zum Beitreten oder Teilhaben bedeutet, wenn nicht auf den niedrigsten Level, dann zumindest auf den höheren. Es muss eine Aufteilung der Rechte geben.
Zum einen kann die Aufteilung komplett sein: Entweder man ist Mitglied oder man ist es nicht, genau wie die Mitglieder bei der Tauschbörse, die ich gerade angeführt habe. Oder es kann teilweise sein – jeder kann Slashdot lesen, anonyme Feiglinge dürfen posten, nicht-anonyme Feiglinge können mit erweiterten Rechten posten. Aber um Moderator zu werden, muss man lange, lange dabei sein.
Es muss ein gewisser Aufwand existieren, um zumindest einige Dinge erledigen zu können, oder die Kerngruppe hat keine Möglichkeiten zur Verteidigung.
Das geht gegen die Kardinaltugend der leichten Benutzbarkeit. Aber leichte Benutzbarkeit ist falsch, es ist der falscher Weg, auf die Situation zu schauen, weil der Neckerwürfel in die falsche Perspektive rutscht. Der Benutzer der sozialen Software ist die Gruppe, nicht das Individuum.
Ich denke, wir haben jeder schon einmal an einem Meeting teilgenommen, wo jeder eine gute Zeit hatte, wo man Witze gemacht und gelacht hat und jeder es genossen hat, nur dass nichts erreicht wurde. Jeder hat sich so amüsiert, dass das Ziel der Gruppe durch individuelle Eingriffe torpediert wurde.
Der Benutzer sozialer Software ist die Gruppe, und die leichte Benutzbarkeit sollte für die Gruppe vorbehalten sein. Betrachtet man die leichte Benutzbarkeit rein von der Sichtweise des Benutzers, dann ist es sehr schwierig, die Gruppe vor internen „Die Gruppe ist ihr eigener schlimmster Feind“ – Schwierigkeiten zu bewahren.
4. Und letztlich muss ein Weg ersonnen werden, um mit dem Problem der Masse fertig zu werden. Masse alleine tötet Verständigung weil Verständigung tiefere zweiseitige Gespräche erfordert. Im Kontext von Gesprächen ist Metcalfesches Gesetz ein Hindernis. Die Tatsache, dass die Anzahl möglicher Gesprächspartner mit dem Quadrat der Benutzer anschwillt, bedeutet, dass die mögliche Tiefe von Gesprächen sehr, sehr schnell selbst bei kleinen Wachstum abnimmt. Es muss eine Möglichkeit für „Weniger ist mehr“ Benutzer geben, sich mehr untereinander auszutauschen.
Das ist die umgekehrte Werteskala einer Masse. Denken sie an ihre Kontaktliste. 1000 Kontakte, vielleicht 150 Bekanntschaften, 30 Freunde und 2 bis 3 Leute, denen man eine Niere spenden würde. Der Wert eines Kontaktes ist invers zur Gruppengröße. Und man muss der Gruppe gestatten, diesen Wert zu erhalten.
Manchmal gibt es die Option des gezielten Aufsplitterns. LiveJournal hat eine der besten Software, die das gezielte Auswählen von Kontakten erlaubt, wo das Konzept von „Du“ und „Deine Gruppe“ sehr stark miteinander verknüpft ist. Die durchschnittliche Größe einer LiveJournal Gruppe ist etwa ein Dutzend. Und der Median pendelt um die fünf herum.
Aber jeder Benutzer ist durch ihre Freunde ein wenig über andere Grüppchen verbunden, so dass zwar eigene Gruppen existieren, aber keine feste Grenze haben – es gibt eine schwache Überlappung. Das heißt, dass obwohl die allermeisten Benutzer sich in schmalen Gruppen zusammenfinden, genauso die allermeisten 500 000 Benutzer von LiveJournal über eine relativ kleine Anzahl von Gliedern miteinander verbunden sind.
IRC Kanäle und Mailinglisten regulieren sich selbst mit der Masse; wenn das Rauschen überhand nimmt, dann springen Leute ab; wenn es wieder besser wird, treten Leute wieder bei. Es gibt diese schwankenden Zahlen, aber es korrigiert sich von selbst.
Und dann gibt es ein Konzept bei MetaFilter, das mein persönlicher Favorit ist: Sobald man einen massenhaften Zuwachs befürchtet, dann wird der Zugang zum Beitreten gesperrt. „Irgendjemand hat in der Presse gesagt, dass MetaFilter toll ist ? Auf Wiedersehen !“ Das ist ein Weg, die Zugangsbarriere zu erhöhen, es ist eine Möglichkeit, die Schwelle zum Beitritt zu erhöhen. Jeder, der MetaFilter dann auf die Merkliste setzt und sich sagt: „Ich möchte MetaFilter unbedingt kennenlernen, ich komme auf jeden Fall später zurück !“, dass ist genau die Art Benutzer, die MetaFilter haben will.
Man muss einen Weg ersinnen, um die eigenen Benutzer vor dem Effekt der Masse zu schützen. Das bedeutet nicht, dass die Größe des Systems nicht anwachsen darf. Aber es ist nicht möglich, dass System dadurch groß werden zu lassen, dass man individuelle Gespräche nimmt und versucht, diese wie einen Ballon aufzublähen; menschlicher Kontakt, das Gespräch von vielen zu vielen, kann nicht auf diese Weise aufgebläht werden. Entweder es löst sich auf, es verwandelt sich in eine Ausstrahlung oder es kollabiert schlicht. Deshalb rechne man schon im voraus mit dem Masseneffekt, er tritt ohnehin früher oder später ein.
Abschluss
Zusätzlich kann man eine strikte Aufteilung von Gruppen einführen, wie die Gilden bei den MMORPGs oder Gemeinschaften bei LiveJournal oder was auch immer. Man kann Fundstücke bei Gesprächen einbauen, wo die Gruppeninteraktionen etwas Interessantes hinterlassen haben. Wikipedia ist gerade jetzt als gruppenbasierte freie Enzyklopädie das lehrreichste Fundstück des menschlichen Austausches, das ich kenne; ein Produkt, das nebenbei aus dem Ablauf entstand. Anstatt zu sagen: „Wir werden uns jetzt zusammentun und diese Präsentation erstellen“ war es einfach „Das ist das Ergebnis von dem, was gesagt wurde.“
Da gibt es all diese Dinge und natürlich unterscheiden sie sich je nach Plattform. Aber, so glaube ich, es gibt einen gemeinsamen Kern von Dingen, die auftreten, egal, ob man sie plant oder nicht, und Dinge, die man planen sollte, weil diese Software, die man für große Kommunen einsetzt, unweigerlich damit konfrontiert wird.
Soziale Software zu schreiben ist schwer. Und, wie ich gesagt habe, der Akt, eine soziale Software zu schreiben hat mehr mit der Vorgehensweise von Wirtschafts- oder Politikwissenschaftlern zu tun. Und der Vorgang, soziale Software zu pflegen, hat mehr mit dem Verhältnis von Vermieter zu Mieter als mit Inhabern zu Gütern in einem Warenhaus zu tun.
Die Leute, die die Software benutzen, selbst wenn es die eigene ist und wenn selbst dafür bezahlt, haben Rechte und werden sich so benehmen, als ob sie Rechte haben. Und wenn man diese Rechte aberkennt, dann wird sich das schnell herumsprechen.
Das ist ein Teil des Problems, dass die Theorie der Gemeinschaft von John Hegel – Gemeinschaft führt zum Inhalt und Inhalt führt zum Handel – nie funktionierte. Weil, wer hätte das gedacht, wer auch immer auf den Chatboards von Clairol aufschlug, sie wollten über Dinge reden, die nichts mit Clairol-Produkten zu tun hatte.
„Aber wir haben dafür bezahlt ! Das ist die Clairol Seite !“ Spielt keine Rolle. Die Benutzer sind für sich selbst und andere da. Du magst die Hardware und Software auf eigene Kosten verwenden, aber die Benutzer sind für sich selbst und andere da.
Die Konzepte, die ich hier vorschlage, sowohl die notwendigen als auch die Dinge, die man im Auge behalten muss, sind gegeben. Nimm diese als Grundlage einer sozialen Plattform und dann gehe raus und baue darauf das all die interessanten Dinge, die, so glaube ich, das endgültige Resultat dieser Epoche sozialer Software sein werden.
Vielen herzlichen Dank
Anmerkungen des Übersetzers
[1] Das Plato Bulletin Board System (Programmed Logic for Automatic Teaching Operations / Programmierte Logik für automatisches Lernen) war eines der ersten Systeme zur computergestützten Assistenz. Es lief 1960 auf dem ILLIAC I Computer der Universität Illinois.
[2] Glenn Harlan Reynolds, geboren am 27. August 1960 ist ein Rechtsprofessor an der Universität Tennessee und betreibt das Blog Instapundit. Falls noch nicht erwähnt, Clay Shirky bringt hier komplett unbekannte Beispiele aus dem angloamerikanischen Sprachraum.
[3] Die Whole Earth 'Lectronic Link (elektronischer Link für die Ganze Erde) ist eine der ältesten virtuellen Gemeinschaften. Es wurde von Stewart Brand und Larry Brilliant mit dem Ziel, nachhaltiges Wirtschaften zu unterstützen, gegründet.
[4] Erfahrungen in Gruppen und andere Schriften, Übersetzung H. O. Rieble, Stuttgart: Klett-Cotta, 3. Aufl. 2001, ISBN 3-608-94310-2
[5] Robert's Rules of Order („Robert's Geschäftsordnung“) ist ein vom Brigadiergeneral Henry Martyn Robert 1876 geschriebenes und immer noch verwendetes kleines Buch, in dem klare Regeln für das Verhalten bei Treffen definiert werden.
[6] Das Lucasfilm Habitat war die erste virtuelle Community, die auf einem 1986 für den C64 geschriebenen und vermarkteten Online-Rollenspiel basierte.
[7] Drugde Report wurde von Matt Drudge und Charles Hurt 1996 als Nachrichtensammelpunkt verschiedener Artikel eingeführt. Der Report war die erste Nachrichtenquelle für den Monica Lewinsky Skandal, nachdem Newsweek sich entschied, die Sache fallen zu lassen.